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Can, „Baskin“ ist der erste türkische Horrorfilm überhaupt, der es auch in die USA schafft. Wie fühlt sich das an?

Unbeschreiblich gut, ich bin überwältigt. Vor allem deshalb, weil es nicht nur die erste Genreproduktion, sondern auch so der erst 10. oder 12. Film aus der Türkei ist, der nach Hollywood verkauft werden konnte.

Was glaubst du, weshalb es so lange gedauert hat, bis Hollywood auf türkische Produktionen aufmerksam wurde?

Da bin ich überfragt. Aber weißt du, Filmproduzenten in der Türkei sind vor allem an Projekten interessiert, die künstlerisch gesehen keinerlei Wert haben, dafür aber umso besser an den Kinokassen funktionieren. In der Regel sind das schlecht geschriebene Komödien, die eine Menge Geld einspielen. Arthouse-Werke, die im Rahmen von Filmfestspielen präsentiert werden können, sind äußerst selten. Das liegt daran, dass sie oft ein langsames Tempo aufweisen und mit sehr geringen Mitteln umgesetzt werden. Vielen Filmen gelingt es schlicht und ergreifend nicht, sich die Gunst des Zuschauers zu erkämpfen. Und so erhalten sie auch nicht jene Auswertung, die sie eigentlich verdient hätten. Es gibt eine riesige Lücke zwischen großen sowie wirklich grauenvollen Filmen, die in Europa aber trotzdem in andere Länder lizenziert werden, und Festivalwerken. Richtige Geschichten werden in der Türkei fast gar nicht erzählt. Selbst die erfolgreichen Komödien sind im Grunde nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Sketchszenen. Aber sonderlich viel Platz für einen gut geschriebenen, hervorragend inszenierten Streifen, egal ob nun im Bereich Comedy, Action oder eben Horror, gibt es dort praktisch nicht. Das dürfte dann auch einer der Gründe sein, wieso die USA dem türkischen Kino so lange den Rücken gekehrt haben.

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Gab es in der Hinsicht denn keine Entwicklung in den letzten zehn Jahren, so wie es beispielsweise in Russland oder China der Fall war?

Meine Beobachtung im letzten Jahrzehnt war, dass einige islamische Horrorfilme verwirklicht werden konnten, welche sich an einer mittlerweile bemerkenswert hohen Fangemeinde erfreuen. Der Verleiher, der „Baskin“ herausgibt, stellt sich nun die Frage, ob unser Film diese Leute ebenfalls abholen kann. Es gibt nämlich durchaus Parallelen, da auch wir ein paar islamische Elemente integriert haben. Diese islamischen Horrorfilme setzen sich mit Dämonen auseinander, die man aus türkischen Gruselgeschichten kennt. In internationalen Gefilden bekommt man die aber so gut wie gar nicht zu Gesicht, weil sie rein produktionstechnisch nicht sehr hochwertig oder in ihrer Machart zu speziell sind. Es sind zudem vor allem TV-Produktionen. Ich kann im Augenblick nur schätzen, wie „Baskin“ die heimische Filmwirtschaft affektiert und welche Filme darauf folgen oder nicht folgen werden. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich unser Projekt unter einem ganz anderen Stern aufhält als die anderen Genreumsetzungen.

Wie sieht es in Sachen Zensur aus? In „Baskin“ sind schließlich einige brutale Szenen vorhanden, die hierzulande zu einer Indizierung führen könnten.

Wir sind völlig überrascht, dass es der Film in der Türkei ungeschnitten auf die Leinwand schafft. (lacht) Natürlich darf man sich ihn auch dort erst ab 18 Jahren ansehen, dann aber immerhin in seiner vollen Pracht. Als es allerdings um die Finanzierung ging, wurden wir sofort mit Skepsis überhäuft. Viele dachten, es wäre unmöglich, so eine Geschichte realisiert zu bekommen. Aber dank meiner Kurzfilme konnte ich mich mit amerikanischen Verkaufsagenten in Verbindung setzen. Die meinten, wenn ich einen Spielfilm im Stile meiner Kurzfilme machen würde, ließen sich garantiert Interessierte finden. Also habe ich das Drehbuch verfeinert, es ihnen geschickt und es daraufhin schon einmal auf eine sogenannte Option gebracht. Als wir dann den Drehstart festlegten, habe ich sofort gesagt, dass ich den Film so brutal machen will, wie ich es für richtig halte. Ich habe das Argument gebracht, dass wir es sowieso nicht nur auf die Türkei, sondern zudem auch auf das Ausland abgesehen haben. Ich habe sie also quasi an unser ursprüngliches Ziel erinnert. Es kam für mich daher sehr unerwartet, dass „Baskin“ in der Türkei so positiv aufgenommen wurde. Das ist sehr aufregend, weswegen wir schon sehr auf Reaktionen gespannt sind, sobald er regulär in den Kinos läuft.

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„Baskin“ selbst basiert ja auch auf einem deiner Kurzfilme. War es schon immer dein Wunsch, genau diese Geschichte eines Tages in einem Spielfilm neu zu erzählen?

Das war es, ja. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich sogar schon meinen Erstling, „Screws“, den ich 2007 drehte, in einen Spielfilm transformiert. Ich war damals so stolz darauf, dass ich die Einstellung entwickelte, irgendwann einen Spielfilm daraus zu machen, sofern ein Produzent die notwendigen Geldmittel auftreiben kann. Aber dazu kam es nie. (lacht) Ich musste stattdessen noch einmal sechs Kurzfilme machen, bevor ich dann mit „Baskin“ endlich ins Schwarze traf. In diesem Fall war es wohl einfach das richtige Timing.

Zwischen Kurz- und Spielfilm liegen zwei Jahre. Kam es dazwischen zu inhaltlichen Änderungen, die du aufgrund von Feedback zum Short durchsetzen wolltest?

Nun, als ich das Drehbuch zum Kurzfilm schrieb, war das darin Vorkommende stets ein Teil einer größeren Mythologie. Allerdings war mir da selbst noch nicht so recht bewusst, worum es der Sekte eigentlich geht. Doch als wir den Film vor zwei Jahren im Rahmen vom Sitges Film Festival in Spanien vorführten, sah ihn Eli Roth. Das lag daran, dass mein Kurzfilm vor dem Screening seines Films „The Green Inferno“ lief. Er kam danach begeistert auf mich zu und fragte, ob ich denn ein Drehbuch zu einem möglichen Spielfilm verfasst hätte. Ich habe selbstverständlich mit „Ja“ geantwortet, gab aber offen zu, dass der letzte Feinschliff noch ein wenig Zeit erfordert. Also bin ich nach Hause, habe mich mit meinen Co-Autoren zusammengesetzt, mit ihnen Ideen ausgetauscht und alles auf Papier gebracht. Das Ganze ging ungefähr acht Tage lang so. Wir haben es dann Eli geschickt. In den darauffolgenden sechs Monaten wurde das Drehbuch mehrmals gegengelesen und überarbeitet. Aber rund 70% der Geschichte ergab sich während der acht Tage, in denen wir das Drehbuch verfeinert haben.

Mir ist aufgefallen, dass du ein paar Schauspieler aus dem Kurzfilm übernommen hast, während manche Figuren neu besetzt wurden.

Du bist der erste Journalist, der mich auf diese interessante Feststellung anspricht. Es war eine schmerzliche Entscheidung für mich, zwei Rollen neu besetzen zu müssen. Im Kurzfilm waren es vier Cops, während im Spielfilm fünf sind. Zwei Schauspieler habe ich übernommen, aber bei den anderen hatte ich das Gefühl, sie ersetzen zu müssen. Mir war schon beim Verfassen des Drehbuches zum Kurzfilm klar, dass die beiden Rollen in einem potenziellen Spielfilm von älteren Männern verkörpert werden sollten. Es lag wirklich nur daran und nicht etwa an der Leistung, denn die war existent. Aber ich hatte einfach meine Zweifel. Wir haben daraufhin Proben angeordnet und nach denen war ich mir meiner Entscheidung sicher.

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Ich hoffe, das hat dir keiner der beiden übelgenommen.

Ehrlich gesagt ist einer der Schauspieler verdammt sauer auf mich und spricht seither auch kein Wort mehr mit mir. Ich habe ihm in allen Variationen versucht zu erklären, weshalb es für die Glaubwürdigkeit des Films so sein muss.

Vielleicht kannst du ihm ja irgendwann wieder eine andere Rolle anbieten.

Das habe ich sogar schon bei diesem Film getan. Ich habe ihm angeboten, einen der Frog Hunter zu spielen. Aber das hat ihn eher noch wütender gemacht, weil es halt nicht eine der Hauptrollen war.

Schade.

Ja...

Lass uns näher auf die Themen aus „Baskin“ eingehen: Träume spielen eine große Rolle. Wie interpretierst du Träume? Sind es einfach nur Spielereien vom menschlichen Unterbewusstsein oder gibt es in jedem Traum eine Wahrheit zu entdecken?

Letztere These trifft eher auf mein persönliches Empfinden zu. Ich bin mit einem Vater aufgewachsen, der wissenschaftlich betrachtet sehr offen und liberal war. Er mag zwar religiös sein, aber alles andere als konservativ. Aber jedes Mal, wenn er einen Traum hatte, wurde er abergläubisch. Es war die Regel meines Vaters, dass wir uns an Abenden nie über unsere Träume unterhalten. Wenn wir also einen hatten, musste die Erzählung bis zum Morgen warten. Es gibt im Film ja eine Szene, in der zwei der Figuren am Tisch sitzen und sich schwören, dem anderen nach dem Tod als Geist zu erscheinen. Allerdings so, ohne ihn dabei zu erschrecken. Das war der direkte Einfluss meines Vaters, da genau das auch ihm widerfuhr. Das verriet er mir schon, als ich noch ein kleines Kind war. Wenn er solche Dinge erzählt, tut er das stets mit einem Lächeln im Gesicht, gleichzeitig wirkt er dabei aber auch total ernsthaft. Die Geschichte blieb irgendwie an mir haften.

Die Sekte im Film glaubt, dass die Hölle kein Ort, sondern etwas ist, das jeder Mensch bereits in sich trägt. Wie kam es zu der Idee und dieser Glaubensrichtung?

Für mich war immer der Gedanke reizvoll, mich auf die fünf Cops zu fokussieren und sie mit dem totalen Gegenteil ihrer selbst bekannt zu machen. Auch, was die Familiendynamik angeht. Die fünf Cops sind dicke Freunde und pflegen ein sehr familiäres Verhältnis zueinander. Und innerhalb des Gebäudes lauert eine andere Art von Familie, die düster und sexuell abartig ist. Sie umgibt das pure Böse. Ich wollte eine Kollision zwischen menschlicher und nahezu unmenschlicher Kultur inszenieren. Diesen Zusammenstoß zu erkunden, war für meine Co-Autoren und mich ein sehr spannendes Prozedere. Als ich beispielsweise die Rede des unheimlichen Sektenanführers schrieb, entwickelte sich die Idee einer inneren Hölle wie von selbst. Es war ein plötzlicher Inspirationsschub, den ich umgehend in meinen Schreibfluss hinein improvisiert habe.

  • von Carmine Carpenito




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