Wovor Charlotte (Émilie Dequenne) davon läuft, weiß man nicht so genau, es ist aber auch nicht so wichtig. Vermutlich war ein Mann im Spiel, jetzt ist sie in ihrem rappeligen Kombi, eine blaue Kiste aufs Dach gespannt, unterwegs nach Süden, so weit, bis alle ihre CDs einmal durchgespielt sind. Sie ist so eine typische, vom Leben letztlich nur oberflächlich verhärtete junge Frau: In Lederjacke und Stiefeln, Tattoo auf dem Rücken (und "HATE" auf den Fingern). An einer Landstraße liest sie Max (Benjamin Biolay) auf, der aber nach einem Streit mit einer Bikergruppe plötzlich verschwindet, als sie gerade am einsam gelegenen Westernimbiss "La Spack" Station machen.
Die Zeichen dräuen und drängen: Ein Wald aus Windrädern mit je zwei Lampen, die wie dürre Riesen mit leuchtenden Augen aussehen, menschenleere Straßen im Nebel, rüde Biker – spätestens mit Charlottes Ankunft in "La Spack" macht "La Meute", international als "The Pack" vermarktet, überdeutlich, dass man es hier wohl mit einem weiteren französischen Beitrag zum Backwood-Slasher-Genre zu tun haben wird – spätestens seit Xavier Gens' "Frontier(s)" weiß man ja auch aus dem Kino, dass es in der gallischen Provinz sehr einsam und sehr schrecklich sein kann.
Max also verschwindet, und Charlotte macht sich so sehr Sorgen, dass sie in der kommenden Nacht noch einmal ins "La Spack" einsteigt und nach ihm sucht – dann ist allerdings sie es, die sich plötzlich in einem Käfig findet, eine Beule am Kopf. Max steht vor ihr, raucht eine Zigarette, und langsam wird klar: Die Wirtin der Kneipe ist seine Mutter, die noch einiges mit ihrer Gefangenen vor hat. Am nächsten Tag wird sie auf einen Stuhl gespannt, bekommt Kraftnahrung eingeflößt und Blut gleich flaschenweise entnommen.
Während man aber sonst vom Backwood-Slasher Folter und Schmerz als Selbstzweck kennt (traditionellerweise als Effekt von Inzest und/oder anders verursachtem Wahnsinn), scheint es in "La Meute" ein höheres Ziel zu geben, für das Max und seine Mutter arbeiten – das aber bekommt der Zuschauer dann erst nach einer Weile präsentiert, und der Film macht da eine ziemliche Wendung ins Sinister-Metaphysische, die ihm insgesamt nicht gut bekommt.
Vorher setzt Franck Richard, Autor und Regisseur des Films, vor allem Standardversatzstücke des Genres in Szene, macht das aber durchaus gekonnt – seine Hauptdarstellerinnen tut ihr übriges, um den Film in seiner ganzen Hälfte aus der Masse herauszuheben. Vor allem Yolande Moreau (die zuletzt in "Louise-Michel" schon die Grenzen zwischen Gut und Böse ausgelotet hatte) ist als Wirtin des "La Spack" eine Freude. Vordergründig eine unscheinbare Person mit einem mausartig-spitzen Gesicht, versteckt sich dahinter, in ihren Augen und in ihrem ganz mütterlich-strengen Verhalten, doch eine Entschlossenheit, die gar nicht so sehr böse ist, sondern einfach nur den eigenen Maßstäben gehorcht.
Auch nach seiner insgesamt eher bizarren Wendung, die "La Meute" in ein ganz anderes Genre verschiebt, bleibt der Film im Grunde sparsam in seinen Mitteln, hält sich nie mit großen Erklärungen auf. Leider fallen Richard dann auch wirklich nur noch Standardsituationen und -einstellungen ein, die man schon viel zu oft gesehen hat; das längst schon Erwartete lässt auf sich warten, kommt dann aber eben sicher doch – Überraschungen gibt es dann keine mehr. Der Film gerät aus dem Takt, der Rhythmus von Spannung und Aktion, der "La Meute" vorher gut in der Schwebe und in Bewegung hielt, verliert sich.
Vor allem aber werden die Motivationen der einzelnen Figuren, die der Film zunächst bewusst im Dunkel ließ, jetzt zwar recht deutlich, doch überzeugen sie dann nicht mehr, und ganz besonders gilt das für die letzten zwanzig Minuten. Die vorher eingeführte Familiendynamik zwischen der Wirtin, Max und ihren anderen Söhnen, die etwas später auftauchen, wird nicht wirklich überzeugend für die Handlung genutzt, und ganz zum Schluss stellt der Film für seinen Showdown noch eine völlig konstruierte Personenkonstellation zusammen. Richards Erstlingswerk zeigt immerhin, dass der Regisseur sein Handwerk durchaus beherrscht, dass er Genre-Topoi in Szene zu setzen weiß und auch mit ihnen zu spielen versteht – für einen wirklich starken Film hätte es aber auch eines Drehbuchs bedurft, das nicht auf halber Strecke eine wüste Idee einführt, mit der es dann nichts anzufangen weiß. Man darf also auf die nächsten Projekte von Franck Richard durchaus gespannt sein.
>> verfasst von Rochus Wolff