Moviebase Silent House, The
Kamera orientiert, Kamera desorientiert: In „La Casa Muda“ macht sie beides, immer dicht an der Protagonistin. Einmal gibt es da eine Bewegung wie ein verwirrender Tanz: Laura dreht sich im Kreis, die Kamera ebenso. Immer verschwindet Laura aus unserem Blick, und jedes Mal, wenn sie wieder ins Bild kommt, erschrickt man ein wenig; denn Laura ist gerade weggerannt vor jemandem, irgendwem in diesem verlassenen Haus. Und dann steht auf der Straße plötzlich …
Aber ich will ja nicht alles verraten. „La Casa Muda“ lebt davon, dass man nicht alles sieht, dass die Perspektive der (von Pedro Luque geführten) Kamera beschränkt bleibt, die zugleich immer ein wenig auch die Perspektive der Protagonistin ist, aber niemals ganz: Beide tanzen umeinander, umschmeicheln sich, mal ist die eine vorne, mal die andere, mal verliert man sich für Momente aus den Augen, und wirklich: Dann weiß man nicht, was geschieht.
Natürlich ist dieses Spiel mit dem Jenseits der Leinwand oder im Dunkeln Verborgenen schon immer eine der Standardverfahren gerade des Horror- und Gruselkinos gewesen. Aber „La Casa Muda“ macht das auf besonders geschickte Art, mit einem winzigen Setting voller kleiner, beengter Räume, einem gedrungenen, dunklen, renovierungsbedürftigen Häuschen im Nirgendwo (nur selten, am Anfang, am Ende und einmal zwischendrin, öffnet sich der Raum für die Außenwelt) und einer intensiven Kameraführung, in dem das Hauptwerbeargument für den Film letztlich nur ein Gimmick ist.
In einer einzigen durchgehenden Einstellung sei der Film gedreht, beteuern die Macher, mit einer handelsüblichen (wenn auch gehobenen) Fotokamera. Und in der Tat gibt es nur wenige Stellen im Film, an denen geschnitten worden sein könnte, in denen die Schwärze der Räume einen unauffälligen Cut durchaus ermöglichen würde – ob da jetzt ein paar Mal die digitale Schere angesetzt wurde, spielt aber gleichwohl keine Rolle. Der Effekt ist entscheidend.
Zum einen drängt sich erst einmal Respekt auf, weil offenbar akribische Planung und präzise Proben nötig waren, um die Einstellungen – bei denen vermutlich auch viel improvisiert wurde – so bemerkenswert genau und ineinander greifend umzusetzen (von den womöglich zahlreichen Fehlversuchen ganz zu schweigen). Zum anderen aber zieht die durchgehende Handlung den Zuschauer schon nach wenigen Minuten in den Film hinein und lässt ihn nicht mehr los.
Das liegt natürlich auch an der Intensität mit der die Hauptdarstellerin Florencia Colucci, die fast durchgehend zu sehen ist, ihre Rolle als Laura ausfüllt, der Furcht in ihrer Stimme und ihrem Atmen, die Blicke, die Gesten. Ihre Laura soll gemeinsam mit ihrem Vater (Gustavo Alonso) das leere und verfallene Haus samt Garten aufräumen, das einem alten Freund der Familie (Abel Tripaldi) gehört. Lauras Vater schläft auf einem Sessel ein, während sie sich ein wenig im Haus umsieht; Kerzen und zwei Campinglampen sind ihre einzigen Lichtquellen, weil die Fenster mit Brettern zugenagelt sind. Dann hört Laura aus dem Obergeschoss, das sie wegen des kaputten Fußbodens nicht betreten sollen, seltsame Geräusche. Ihr Vater geht nachsehen und stürzt verletzt die Treppe herunter…
„La Casa Muda“ ist zurückhaltend mit Musik versehen, meist ist es ruhige Klaviermusik, ein paar Streicher spielen, in den spannenderen Momenten ist das auf einzelne Töne reduziert. Dann verdichtet sich auch der Ton, wird Lauras Atmen lauter, werden alle anderen Geräusche dumpf und unspezifisch, was die Bedrohlichkeit noch verstärkt. Als einmal das Licht ausgeht und Lauras einzige Lichtquelle das Blitzlicht einer Polaroidkamera ist, wird der Ton dafür umso schärfer.
Regisseur Gustavo Hernández hat mit „La Casa Muda“ einen unglaublich dicht gepressten Diamanten geschaffen, der bei den Filmfestivals in Sitges und Gérardmer für Auditorien in kollektiver Angststarre sorgte. Solche Erfolge haben in den USA für hinreichend Aufmerksamkeit gesorgt, so dass schon in der 2011er Ausgabe von Sundance das Remake „Silent House“ von Chris Kentis und Laura Lau zu sehen war. Die kritischen Reaktionen darauf waren durchaus positiv, und bedauernswert daran ist nur, dass dieses die Chancen zunichte gemacht hat, den kleinen Horrorfilm aus Uruguay nach der Auswertung auf dem Fantasy Filmfest 2010 noch einmal auf deutschen Leinwänden zu Gesicht zu bekommen.
>> verfasst von Rochus Wolff