Moviebase Faces in the Crowd
Prosopagnosie bezeichnet eine äußerst seltene Krankheit. Übersetzt bedeutet es in etwa Gesichtsblindheit, also die Unfähigkeit, die Identität eines Menschen anhand ihres Gesichtes zu erkennen. Schätzungen zufolge leiden etwa ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung an dieser Krankheit. Dabei fallen die Symptome bei jedem Betroffenen anders aus. Regisseur Julien Magnat ergriff diese Thematik, um daraus einen Thriller zu kreieren. Keine schlechte Idee, bringt das Spiel mit verschiedenen Identitäten im besten Falle eine geballte Ladung Spannung mit sich. So richtig geht das Konzept in Magnats Filmversion aber dann letztendlich doch nicht auf.
Anna führt ein glückliches und erfülltes Leben. In ihrem Beruf als Grundschullehrerein geht die junge Frau auf, mit ihren Freundinnen verlebt sie amüsante Abende in Clubs. Auch mit ihrem langjährigen Freund Bryce läuft es bestens, ein romantisches Wochenende steht an. Nach einer traditionellen Partynacht macht sich Anna auf den Weg nach Hause. Plötzlich wird sie unfreiwillig Zeugin einer Vergewaltigung – mit anschließendem Mord. Starr vor Schreck bleibt Anna wie angewurzelt stehen. Da bemerkt der Täter ihr Dasein und kommt auf sie zu. Die Flucht endet für Anna mit einem Sturz von einer Brücke, bei dem sie sich eine schwere Kopfverletzung zuzieht.
Im Krankenhaus kommt Anna zu sich. Ihre Liebsten haben sich ums Krankenbett versammelt. Doch etwas ist anders. Anna kann ihre Freunde nicht mehr erkennen. Nach einer Untersuchung wird klar: Der Sturz hat den Teil im Gehirn verletzt, der dafür sorgt, dass Menschen innerhalb von Sekunden ihren Gegenüber anhand des Gesichts identifizieren können. Anna ist dies nun nicht mehr möglich. Die Suche nach dem Täter scheint damit vergebens. Wie soll Anna wissen, ob sie dem sogenannten Tearjerk Jack gegenübersteht? Sind ihre Freunde wirklich die, für die sie sich ausgeben…?
Ein interessantes Thema, welches sich Magnat in seiner dritten Regiearbeit angenommen hat. Das Potenzial ist groß, könnte doch hinter jedem Gesicht der Täter stecken. Auch der Beruf der Hauptfigur scheint angesichts der Krankheit ein Problem zu werden: wenn für eine Lehrerin auf einmal jedes Gesicht ein anderes ist, wird es mit der Übersicht in einer Schulklasse schwierig. Dies alles sind Punkte, die Magnat zwar aufgreift, aber nicht konsequent ausarbeitet. Leider hebt sich so auch die Jagd nach dem Mörder nicht von der in anderen Thrillern ab. Hinzu kommen einige Ungereimtheiten, so dass sich eine eigentliche geschenkte Grundspannung schwer verbreitet.
Der Filmemacher würde sich sicher ärgern, wenn er die deutsche Synchronfassung zu sehen bekäme. Jovovichs Stammsynchronstimme Meret Becker, die der Schauspielerin in bisher jedem „Resident Evil“-Film ihre Stimme lieh, wurde ersetzt. Das hat zur Folge, dass die ansonsten dank der rauen, tieferen Stimmlage so taff wirkende Jovovich wie ein verängstigtes Teeniegirl wirkt. Auch die anderen Charaktere klingen in der deutschen Sprachversion seltsam. Mehr Mühe von Seiten des deutschen Verleihers Sony Pictures Home Entertainment hätte dem Werk gut getan.
Doch die mangelnde Synchronisation ist nicht allein daran schuld, dass „Faces in the Crowd“ in der puren Mittelmäßigkeit hängen bleibt. Mit Voranschreiten der Handlung legt die Glaubwürdigkeit einen drastischen Sturzflug hin, das dramatisch inszenierte und dick aufgetragene Finale sorgt nur bedingt für einen Überraschungseffekt. Dafür wurden die Wegweiser zuvor bereits allzu stark in die schlussendliche Richtung aufgestellt. Der Cast samt Hauptakteurin Milla Jovovich mag auch schon bessere Tage erlebt haben. Die Rolle der verzweifelten Zeugin nimmt man dem ehemaligen Model kaum ab. Zu sehr haften im Kopf die Bilder der knallharten Kämpferin aus der „Resident Evil“-Reihe. Zudem fehlt es an einer einnehmenden Atmosphäre. Die Bilder sind zu glattgebügelt, dadurch in ihrer Intensität einfach nicht packend genug. Trotz einer guten Grundidee verpasst Magnat die Chance, einen spannungsgeladenen Thriller mit Erinnerungswert zu kreieren. So wird der anfängliche Fokus der Gesichtsblindheit bald durch Effekthascherei und typische Verhaltensweisen in den Hintergrund gedrängt. Was bleibt ist ein standardisierter und mäßig gelungener Krimithriller.
>> verfasst von Janosch Leuffen