Moviebase Possession - Das Dunkle in Dir
Vor dem Hintergrund des geteilten Berlins inszenierte der polnische Regisseur Andrzej Zulawski 1981 seinen Film „Possession“, der von einer Frau handelt, die einem mysteriösen Tentakelwesen körperlich verfällt, von dem merkwürdigen Ding wie besessen scheint. Ole Bornedals (fast) gleichnamiger Film schlägt im Gegensatz dazu doch eher Genre-konservative Töne an und erzählt eine klassische Besessenheit-Exorzismus-Story, wie sie Hollywood spätestens seit Friedkins gefeiertem Okkult-Klassiker „Der Exorzist“ liebt. Bornedal – wie Zulawski ein europäischer Regisseur mit Format – gelingt es aber auch, dem starren Konzept einige Innovationen abzuringen.
So zeigt „The Possession“, dass das Phänomen Exorzismus sich mitnichten nur im Katholizismus wiederfindet und lässt dementsprechend (vielleicht zum ersten Mal in der Subgenre-Geschichte?) ein junges Mädchen Opfer eines Dämons aus der jüdischen Mythologie werden. Klar, dass man in einem solchen Fall eher den Rabbi als den Priester aufsucht. An diesen Dämon, einen sogenannten Dibbuk, mag sich der ein oder andere aus der schrägen Eröffnungssequenz des Coen-Brüder-Knallers „A Serious Man“ erinnern. Im Gegensatz zur unterschwellig brodelnden Spannung dieser Szene wählt Bornedal aber eher die Vollgasvariante, lässt sich gegen Ende unglücklicherweise sogar dazu hinreißen, das unheimliche Wesen explizit zu zeigen.
Die Story um einen Familienvater (Jeffrey Dean Morgan), dessen Tochter von einem Dämon aus einer alten Holzkiste besessen ist, könnte kaum klassischer anmuten. Diesem traditionellen Plotkonzept passt Bornedal auch die Inszenierung an: Zwar mögen die düsteren, farblosen, glatten Bilder wenig mit dem überbordenden Stil seiner dänischen Filme gemein haben, zu dieser uramerikanischen Familienstory mit Gruselelementen aber passen sie perfekt. Der Film erhält so den edlen, minimalistischen Look, der für seine Produktionsfirma, Sam Raimis „Ghost House Pictures“, so typisch geworden ist. Das sieht schön aus, wird niemanden vor den Kopf stoßen, wirkt aber daher, wie auch die, vom jüdischen Touch einmal abgesehen, standardisierte Story auch immer wieder etwas lustlos und langweilig.
Bornedal macht keinen Hehl daraus, dass „The Possession“ für ihn hauptsächlich eine Auftragsarbeit für seinen Kumpel Raimi darstellt. Einen wirklich individuellen Stempel versucht der Regisseur dem Film nur in der psychologischen Unterfütterung aufzudrücken. Auch dabei fällt ihm aber wenig Neues ein: Dass Besessenheit bei Teenager-Mädchen immer auch als pubertäre Überreaktion auf die Sünden der Eltern gelesen werden kann, ist nun wahrlich keine neue Erkenntnis. Die „Dibbuk Box“ bietet sich ebenso offensichtlich als Metapher für alles mögliche von der Xbox bis zum Drogenkonsum an, von dem junge Menschen „besessen“ sein können. Interessant sind da eher die filmischen Bilder, die sich nicht ganz so simpel aufschlüsseln lassen: etwa die „Besessenheit“ des Films mit allen Dingen, die mit dem Mund zu tun haben – Essen, Zähne, Spucken, etc.
Bornedals erneute Hollywood-Exkursion ist ein solider, atmosphärischer Exorzismus-Film, der im Gegensatz zu seinen großen Vorbildern leider nur wenige echt Schock- oder Gruselmomente vorweisen kann. Alles an „The Possession“ wirkt ein wenig lieblos, als hätte der Regisseur selbst Widerwillen gegenüber seinem Film empfunden. Zwar gelingt es dem Film durchaus, nicht zuletzt auch mit Hilfe der durchweg überzeugenden Darsteller, ein glaubwürdiges Portrait einer krisengeschüttelten Familie zu entwerfen, in Sachen Genre aber geht Bornedal, beziehungsweise die für ihre lahmen Skripts bekannten Autoren Snowden und White (u.a. „Knowing“), viel zu zimperlich zur Sache. Tatsächlich steckt in den absurden, ersten zehn Minuten von „A Serious Man“ mehr Grusel als in den vollen 90 von „The Possession“.
>> verfasst von Tim Lindemann