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Moviebase Sightseers

Sightseers
Sightseers

Bewertung: 85%

Userbewertung: 80%
bei 43 Stimmen

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Originaltitel: Sightseers
Kinostart: 28.02.2013
DVD/Blu-Ray Verkauf: Unbekannt
DVD/Blu-Ray Verleih: Unbekannt
Freigabe: Unbekannt
Lauflänge: 90 Minuten
Studio: Big Talk Productions, StudioCanal, Film4
Produktionsjahr: 2012
Regie: Ben Wheatley
Drehbuch: Steve Oram, Alice Lowe
Darsteller: Alice Lowe, Steve Oram, Jonathan Aris, Richard Glover, Monica Dolan, Richard Lumsden

Man stelle sich vor, Mickey und Mallory, die eiskalten, stylischen Killer aus „Natural Born Killers“ hätten noch bei Mutti gewohnt, Klamotten aus dem Ein-Euro-Shop getragen und leidenschaftlich gern Museen besucht. Wer sich das vorstellen kann, ist zwar immer noch lange nicht bei Ben Wheatleys „Sightseers“ angekommen, hat aber immerhin eine ungefähre Vorstellung davon, welchen Wahnsinn der Brite in seinem dritten Film entfesselt. Nach dem düsteren, bitterbösen Genre-Hybrid-Klumpen „Kill List“ schüttelt der Regisseur nun eine Komödie aus dem Handgelenk, die selbst für britische Verhältnisse mit ihrem tiefschwarzen Humor neue Maßstäbe setzt.

Das liegt noch nicht einmal hauptsächlich an den extremen, aber gleichzeitig recht beiläufigen Gewaltausbrüchen des Films, sondern an der gesamten Atmosphäre, in die diese Szenen eingebettet sind. Eine perverse Mischung aus brodelnder Aggression, retardierter Sexualität und staubtrockenem Humor liegt in der Luft und erzeugt eine wahrhaft einzigartige Stimmung. „Sightseers“ erzählt die Geschichte des Pärchens Chris (Steve Oram) und Tina (Alice Lowe), die, nachdem Tina aus den Klauen ihrer tyrannischen Mutter „befreit“ wurde, sich auf Camping-Urlaub durchs lauschig-ländliche England begeben und dabei eine breite Blutspur hinter sich herziehen. So verlockend es auch ist, hier einzelne, köstliche Details der Story nachzuerzählen: „Sightseers“ ist ein Film, über den man so wenig wie möglich wissen sollte, bevor man ihn sich anschaut.

Wie der brillante „Kill List“ bereits vermuten ließ, begnügt sich Wheatley nicht damit, eine gelinde gesagt schräge Story zu erzählen. Er verfremdet den blutigen Trip weiterhin durch starke inszenatorische Kontraste, wie etwa wunderschöne Landschaftsaufnahmen, einen Soundtrack aus Pop-Megahits, kitschigen Traumsequenzen und einer naturalistischen, sonnigen Beleuchtung, die so gar nicht zu Mord und Totschlag passen wollen. Ein ebensolches Paradoxon stellen die beiden Hauptfiguren dar, die von ihren Darstellern Lowe und Oram selbst im Rahmen ihres Stand-Up-Comedy-Programms entwickelt wurden: Chris und Tina sind gleichzeitig Nerds, Nervensägen, Psychopathen und irgendwie auch Sympathieträger, wobei die Identifikation mit den beiden zwischenzeitlich wahrlich schwer fällt. Geradezu unheimlich gut verkörpern die Comedians die beiden manischen Spießer, denen schon unachtsam auf den Boden geworfener Müll als Grund ausreicht um in Mordlust zu geraten.

Einerseits ist „Sightseers“ ist eine lustvolle Verfremdung der klassischen Bonnie-und-Clyde-Story: Wheatley raubt dem Motiv des „Gangster-Pärchens“ jegliche Coolness, tauscht lockeren Südstaaten-Slang gegen zutiefst britisches Idiom und zelebriert die blutigen Gewaltausbrüche weniger als erlösenden Befreiungsschlag gegen die herrschende Ordnung, sondern vielmehr als die krasseste Manifestation britischer Piefigkeit. Gleichzeitig steckt aber auch nicht nur Hass in dieser bissigen Parodie der Britishness, sie kann auch durchaus als Liebeserklärung an die Verschrobenheit von Land und Leuten verstanden werden. „Sightseers“ wäre keineswegs nur in Yorkshire, sondern ebenso im Schwarzwald oder in Brandenburg denkbar – mit dem Unterschied, dass ein so anarchischer und gleichzeitig handwerklich ambitionierter Film in Deutschland wohl undenkbar wäre.    

Ohne Zweifel wird Wheatleys Film die Zuschauer spalten: Der Humor, der im Gegensatz zu anderen „Splatter-Komödien“ nur selten auf Schenkelklopf-Slapstick setzt, sondern sich viel mehr aus der ungelenken, unangepassten Handlungs- und Redeweise seiner beiden Hauptfiguren generiert, dürfte vielerorts für Kopfschütteln sorgen. Wenn der Film sich doch einmal an körperlichem oder Fäkalhumor versucht, dann auf gnadenlos unangenehme Weise, die weniger zum lauten Auflachen als zum kichernden Sich-Winden im Kinosessel anstiftet. Nach Gangster- und Dämonen-Horror hat Wheatley seinen mutigen, kantigen Stil nun also auch auf eindrucksvolle Art im Bereich der Komödie erprobt – mit ähnlich abgründigem, begeisterndem Resultat. Wer hätte gedacht, dass sich zu den Klängen von Frankie Goes To Hollywoods „Power of Love“ einmal ein solch verstörendes Panorama auftun würde, wie im Finale von „Sightseers“.

>> verfasst von Tim Lindemann

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