Er ist wohl einer der populärsten Horrorfilme in der Geschichte des Films. Einer der größten Kultfilme im Horrorgenre, Dario Argentos "Suspiria". Argento, der personifizierte Dorn im Auge der deutschen Zensur. Doch auch die langhaarigen Filmfreunde der 70er und 80er wussten wie man an seine Lieblinge ran kam und somit erlangte "Suspiria" zuerst und vorrangig im Untergrund Aufmerksamkeit. Dass sich die deutsche Zensur häufig Schnalzer erlaubt, wird hier einmal mehr verdeutlicht - man möchte meinen, das Vermögen zwischen Kunst und hohler Gewalt zu unterscheiden geht wohl in deren Kaffeepausen verloren. Mit der Zeit erlangte aber "Suspiria" auch in Deutschland die ihm gebührende Bewunderung und Aufmerksamkeit, gerade deswegen freue ich mich heute einen kleinen Einblick in die phantastische Welt des Dario Argento und seiner Kunst gewähren zu dürfen - das Ganze am Vorzeigebeispiel "Suspiria", dem Horrorklassiker aus dem Jahr 1977.
Wie vermutlich den meisten unter euch bekannt sein dürfte, sind die Geschichten in Argento Filmen nicht gerade ausgereift, komplex oder feinstens durchdacht. Was wiederum aber nicht heißen soll sie seien dümmlich oder gar uninteressant. Genau das ist eben ein Kennzeichen der Argento Filme, die Story rückt in den Hintergrund, was hier zählt ist der Film, der Film als Medium, der Film als Kunstform - dazu später mehr.
Kommen wir nun zu unserer netten kleinen Geschichte, die teilweise von den spät-60ern Mario Bavas beeinflusst wurde:
Um Ballett zu studieren reist die junge Tänzerin Suzy Bannion (gespielt von Jessica Harper) nach München. Die Tanzschule, die sich eines hervorragenden Rufs erfreut stellt sich für Suzy aber bald als düstere und angsteinflößende Einrichtung heraus. Die Lehrerinnen scheinen ein Geheimnis zu verbergen und wecken Suzys naive Neugier. Nächtliche Geräusche im Flur, seltsame Vorkommnisse im Dunkeln und eine permanente Bedrücktheit in der Schule treffen auf die junge Tänzerin welche beschließt den Vorkommnissen nachzugehen - und somit beginnt ein mystische Reise in die dunklen Gänge der Schule.
Ein Strudel an Eindrücken, eine regelrechte Reizüberflutung - so lässt sich "Suspiria" am simpelsten beschreiben. Der Film, mit einer relativ kurzen Spieldauer von 82 Minuten, übt eine derartig kraftvolle Anziehung auf den Zuschauer aus, die man von sämtlicher Hollywood-Laufbandproduktionen kaum mehr gewohnt ist. Argentos sind keine Massenware, kein Produkt zum einfachen Verzehr. Im Gegenteil, sie sind hochanspruchsvolle Werke die anziehen und fordern - eine filmgewordene Droge die den Konsumenten auf sämtlichen Wahrnehmungs- und Reizebenen stimuliert.
Selten hat mich ein Film so in seiner Atmosphäre gefesselt wie "Suspiria", ich möchte gar nicht bestreiten dass die Story schon nach wenigen Minuten recht lau wird und weniger einspannt, aber genau hier trifft man auf den faszinierenden Aspekt, nämlich den Grund warum man nicht mehr wegkommt von dem Film. Es ist die Atmosphäre die sich hier wie ein Schleier auf den Zuschauer legt, ein Schleier aus progressiver Akkustik und psychedelischer Optik. Zur Akkustik; wie eine Vielzahl seiner anderen Filme wurde auch der Soundtrack zu Darios "Suspiria" komplett von der italienischen Psychedelic-Prog-Rockband Goblin eingespielt. Die Mannen rund um Claudio Simonetti lieferten nicht nur einen hervorragenden Soundtrack, sondern auch eines ihrer besten Alben als eigenständige Musiker. Ihre Mantra ähnlichen Kompositionen haben einen sehr großen Mitfühlfaktor und verleihen fast jedem Argentofilm eine nach seinesgleichen suchende Stimmung. Interessant ist, dass Argento Goblin sogar beim Set und während des Drehens spielen lies, er erhoffte sich damit die Schauspieler in echte Panik, Hektik und Unruhe zu versetzen um dadurch eine realistischere Atmosphäre zu schaffen.
In der Addition mit den mehr als bezaubernden Sets von "Suspiria" wächst die Genialität des Films stetig an. Mit sehr viel Liebe zum Detail, perfekt designten Ausstattungen und ausgeklügelter Umsetzung spielt der Film am Rande der künstlerischen Perfektion. Durch die Aus- bzw. Beleuchtung wirken Szenen extrem surreal und werden in ihrer phantastischen Präsenz zu regelrechten Gemälden. Die markant auffällige Verwendung der Farben Rot, Blau und Gelb wirkt märchenhaft und erinnert an Technicolor-Klassiker der früheren Filmgeschichte: Beispiele wären diverse Errol Flynn's oder "Schneewittchen". Diese Farbenspiele haben aber nicht nur eine vordergründige, optische Wirkung sondern sind auch mit bewusster Absicht benutzt worden um Emotionen der Protagonisten zu verdeutlichen und zu unterstützen, aber auch die Empfindungen des Zuschauers weiterhin zu stimulieren und zu reizen.
Die Farbe Gelb steht zum Beispiel (in Italien) für Gefahr und wird dementsprechend auch eingesetzt.
Um die Palette an künstlerischen Mitteln zu vervollständigen, beweist Dario Argento in "Suspiria" wieder mal seine riesiges Kameratalent. Selten wurden Räume, Orte und Gegenstände auf so innovative und einzigartige Weise beschrieben. Wunderschön, fast poetisch wirkt es wenn er seine Kamera durch Schule und ihre zahlreichen Gänge et cetera gleiten lässt. Close-ups im Maximalbereich und Zooms, die gegen jegliche Regel voriger Filmtechnik sprachen, avancierten zu Markenzeichen Argentos. Kompliziert ausgearbeitete Fahrten fernab vom Raum vorgegebener Achsen lässt er die Kamera bewegen und macht "Suspiria" zu einem unkonventionellen, artistischen Meisterwerk.
Häufig wird Dario Argento angeführt er glorifiziere Gewalt, im speziellen Gewalt an Frauen, in seinen Filmen. Deshalb handelte er sich viele Feinde ein, was er aber dementierte, da er seinen Aussagen nach Frauen liebe und er es liebe mit Frauen zu arbeiten. Klar die Gewalt in seinen Filmen ist nicht für ein PG-Rating oder für das Nachmittagsfernsehen geschaffen, aber eine Differenzierung muss doch vorrausgesetzt sein. Durch die in diesem Film vorherrschende Atmosphäre, dessen unnahbare märchenhafte Geschichte,welche fernab von Realität spielt und nicht auf authentische Gegebenheiten oder Handlungen basiert erreicht er Geniales. Die Gewalt die er beschreibt, wird durch seine Inszenierung zu einem Akt, einer surrealen Handlung die nicht Gewalt als solche glorifiziert, sondern die Gewalt in seinem Film, diesen Moment der Gewalt, diesen Akt der so unwirklich ist, macht er zu etwas Faszinierendem, um nicht zu sagen Attraktiven.
Letztendlich bleibt zu sagen, dass "Suspiria" neben "Tenebre", "Profondo Rosso", "Inferno" oder "Oper" ein Meisterwerk ist. Dario Argento schuf eine Referenz im Horrorkino und gab dem Medium Film endlich seine berechtigte Bezeichnung als Kunstform wieder zurück. Eine surreale, psychedelische Reizflut die für Jeden der ihn einmal gesehen hat zum unvergesslichen Erlebnis wird. Meine Hochachtung!
>> geschrieben von Benjamin Johann