Moviebase Fliege, Die
Nach schweißtreibender und von zahlreichen Enttäuschungen gezeichneter Forschung erreicht der Wissenschaftler Seth Brundle sein Ziel – es gelingt ihm nun organisches Material(zuerst Fleisch, Affe) zu teleportieren. Seine beiden selbst entwickelten Teleboxen dienen ihm als Transporter, um aber die wissenschaftliche Innovation zur wahren Vollendung zu bringen, wagt Brundle den Selbstversuch, welcher ungeahnte Folgen mit sich zieht. Da sich nämlich zum Zeitpunkt der Teleportation eine Fliege in der Telebox befand, wurde das Erbmaterial von Seth Brundle und seinem haarigen Begleiter vereint. Zuerst noch ohne Auswirkung verändert sich der Wissenschaftler zum kraftstrotzenden Menschen, welcher aber bald mit der zunehmenden Transformation zu einem Fliegen ähnlichen Wesen wird, der Brundlefliege….
Man könnte fasst meinen es handle sich hierbei um einen billigen Splatter ohne Tiefgang und Intention; ein weiteres Foul der 80er Jahre Rotzfilme – doch dem ist bei weitem nicht so. Als Remake des Horrorklassikers „Die Fliege“ von Kurt Neumann aus dem Jahre 1958, bekommt man hier einen der besten Horrorfilme der letzten 25 Jahre zu sehen. David Cronenberg, unser geliebter Themenmischer aus Kanada, übernahm den Stuhl des Regisseurs und bei Gott man muss ihm dankbar dafür sein. Der Titel „Die Fliege“ wurde beibehalten und 1986 erstmals aufgeführt. Das durch Cronenberg selbstdefinierte Genre des Organic Horrors findet mit diesem Film seinen Superlativ und bildet einen der größten Geniestreiche, für mich persönlich den Größten überhaupt, in der formidablen Filmographie Cronenbergs.
Mit einem vorzüglichen Cast bestehend aus Jeff Goldblum, als ehrgeiziger Exzentriker Seth Brundle und Geena Davis, welche die junge Journalistin Veronica Quaif wunderbar verkörpert, werden nur zwei, aber eben auch die zwei beeindruckendsten Leistungen erwähnt. Durch hervorragende Besetzungen in den Nebenrollen und Cameoauftritte des Regisseurs selbst, wird ein rundum perfektes Schauspiel geboten. Stets authentisch agierend und mit vollster Liebe zum Beruf, der intensiven Ausführung des Themas und dessen depressiv pessimistische Umsetzung, wird „The Fly“ zu einem zutiefst verstörenden und gleichsam rührenden Machwerk.
Kindsähnliche Neugier und Begeisterung treiben Seth Brundle an, sein Ziel, die Teleportation lebendiger Organismen, nicht aus den Augen zu verlieren. Ohne Rücksicht auf Verluste, fast schon fanatisch forscht und experimentiert er um feindlich gesinnten Ungönnern die Wahrheit zu beweisen. Nach ungewollt abartigen Ausgängen diverser Versuche ist es ihm endlich gelungen – doch diese Teleportation bedeutet ihm schnell ziemlich wenig und er wagt einen mutigen Selbstversuch, der augenscheinlich problemlos verläuft. Brundle, im Rausch der eigenen Glücks- sowie Erfolgsgefühle, findet zu schier unbremsbarem Lebensmut. Von Reinkarnation und Säuberung seiner Selbst reden, trifft er auf die Zweifel der Journalistin Veronica.
Das ganze Projekt begleitend werden auch bei ihr Unruhen wach, geweckt durch die immer auffälligere Veränderung des gutmütigen Wissenschaftlers. Permanenter Hunger, stark ausgeprägte Libido und unmenschliche Kräfte sind nur die ersten Anzeichen eines zum Traurigen wendenden Werdegangs. Durch die Untersuchung seines Erbmaterials findet Brundle heraus, dass sich während der Teleportation die DNS einer gewöhnlichen Stubenfliege mit seiner vermischt hat und nun seinen Organismus zu einer unwirklichen Erscheinungsform wandelt. Jedoch ist es nicht so, dass Brundle zu einer überdimensionalen Fliege mutiert, sondern zu einem „Lebewesen“ welches charakteristische Merkmale und Eigenschaften beider Lebensformen vereint; auch bezeichnet als Brundlefly (Brundlefliege).
Hochleistungen im Makeup-Sektor verwandeln den jungen Jeff Goldblum in eine abstoßende Kreatur, welche mit der Zeit immer weniger an den ehemals attraktiven Seth Brundle erinnert. Vielfach preisgekrönt und ausgezeichnet wurde der Film gefeiert. Neben bester Schauspieler(Jeff Goldblum - 1987), bester Horrorfilm(1987), beste Musik(Howard Shore – 1987) und Ähnlichem wurden eben auch die Makeup-Leistungen gekürt, nämlich bei der Oscarverleihung 1987. Mit seinen bis zu fünf Stunden andauernden Schminkmarathons, wurde Jeff Goldblum alias Seth Brundle zur Kultgestalt im Genre, da die Verwandlung zur Brundlefliege dermaßen real und perfekt inszeniert wurde.
Rar platziert und konsequent inszeniert machen die Effekte den Film nicht zu einem billigen Gorefilmchen welches nach einmaligem Ansehen höchstens noch für ein weiteres Mal zum ergötzen an den blutigen Effekten diene. Im Gegenteil, „Die Fliege“ ist ein tiefpsychologisches Drama, welches viele Einflüsse aus Literatur und Kunst aufweißt – recht deutlich werden die Anlehnungen an Kafkas „Metamorphose“ aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, in welchem eine Wandlung eines Träumers zu einem riesigen Insekt beschrieben wird. Dies als Beispiel dienend, lässt es sich auf die weitreichende Inspirationsquellen und das Ideenreichtum Cronenbergs schließen, der in allen seinen Filmen komplexe und intelligente Themen be- bzw. verarbeitet.
Angespannt verfolgt man nun also die Verwandlung Seth Brundles, der letztendlich am unaufhaltsamen Forschungsdrang seiner Selbst zu Grunde geht. Dieser Fakt kann kongruent auf die moderne Wissenschaft angewandt werden: Kompromisslose Innovationensuche ohne Rücksicht auf Werte und Meinungen Anderer. Die Besessenheit von unnatürlichen Idealvorstellungen, welche wiederum doch nur in Misserfolgen und Perversitäten endet. Weiterhin bestimmen Themen wie Liebe, Zuneigung und Vertrauen die Intention dieses Films – diese Werte werden als eine Art Bestrafung, vielleicht auch logische Konsequenz, annulliert und durch negative, pessimistische Dinge ersetzt. Missgunst, Ablehnung von Freunden und Geliebten, Verlust von Vertrauen und fehlende Geborgenheit sind die Folgen. Der sprichwörtliche Verfall, wird nicht zuletzt durch die Deformierung Brundles Körper und seines Charakters symbolisiert; ein Mensch der nicht mehr „funktioniert“ und in kein soziales Muster mehr platziert werden kann driftet nun seinem traurigem Ende entgegen.
Doch Brundle wird hier nicht als bösartiges Negativbeispiel präsentiert, sondern übernimmt eine viel kompliziertere und unangenehmere Rolle. Der Zuschauer leidet mit ihm, begleitet ihn auf diesem finalen Weg, der nicht gestoppt werden kann; somit erschuf Cronenberg ein geniales und gleichzeitig fast freches Mittel seinen Film dem Betrachter zu offenbaren. Man wird persönlich angesprochen, Gefühle werden durch dieses hochemotionale Stilmittel der Identifizierung geweckt und deshalb vollführt man selber diesen schweren Kreuzgang Brundles. Mitleidig muss man das Zugrundegehen eines geplagten und verachteten Lebewesens verfolgen, dadurch fühlt man sich ebenso gedemütigt wie der „Protagonist“ selber.
Cronenberg schuf mit „Der Fliege“ ein analytisches Werk, das die dunklen Tiefen der menschlichen Seele unangenehm ausleuchtet und diese zum provozierenden Thema selber macht. Der unwiderruflich tragische Ausgang dieses Leidensweges ist meisterhaft gestaltet und bietet eine pessimistische Charakterstudie des Menschen und seinem fanatischen Tatendrang. Starke Effekte, bedrückende Audiokunst von Howard Shore, sowie beeindruckendes Schauspiel und eine geniale Regie David Cronenbergs, dieses Zusammenspiel ergibt einen dramatischen Horrortrip, welcher wegweisend für das Genre war und auch noch ist. “I'm saying I'm an insect who dreamt he was a man and loved it, but now that dream is over and the insect is awake."
>> geschrieben von Benjamin Johann