Moviebase Pathfinder - Fährte des Kriegers
Was müssen das nur für finstere und barbarische Zeiten gewesen sein. "Auge um Auge, Zahn um Zahn!" lautet die Devise, als fünfhundert Jahre vor der Eroberung und Entdeckung Amerikas durch Kolumbus gewaltgeile Wikingerhorden über ahnungslose Indianerstämme herfallen. Bei einem dieser Gemetzel wird ein verängstigter Wikingerjunge von seinem Clan zurückgelassen. Eine Indianerfrau entdeckt das Kind, adoptiert es und zieht es groß. Mowgli einmal anders. Als aus dem Jungen ein Mann geworden ist, kehren die nordischen Hooligans zurück. Mit scharfen Äxten, noch imposanteren Kopfbedeckungen (diese Hörner!) und jeder Menge Wut im Bauch. Der zum indianischen Krieger mutierte Ex-Wikinger (Karl Urban) – von den Seinen auf den Namen „Ghost“ getauft – wird Zeuge, wie sein Stamm auf brutalste Weise ausgelöscht wird. Starfire (Moon Bloodgood), die Frau, die er liebt, ist darüber hinaus in höchste Gefahr. Intuitiv wird ihm klar, dass er sich der eigenen Vergangenheit stellen und – so wie es die Prophezeiung des Schamanen "Pathfinder" (Russell Means) vorhersieht – den Kampf gegen die Wikinger aufnehmen muss.
Vor knapp vier Jahren debütierte der bis dato sehr erfolgreiche Videoclip- und Werbefilmer Marcus Nispel mit dem Remake von Tobe Hoopers "Texas Chainsaw Massacre". Selbst Gegner der Neuauflage kamen nicht umhin, Nispel für dessen ästhetisches Bewusstsein und die Kunst, eine düstere, ausweglose Stimmung zu kreieren, Anerkennung entgegen zu bringen. Weil auch der kommerzielle Erfolg alle Erwartungen übertraf – der Film spielte allein in den USA rund 80 Mio. US-Dollar ein, das Neunfache seiner Produktionskosten – durfte der gebürtige Frankfurter sein nächstes Kinoprojekt in Angriff nehmen.
Die Wahl fiel dabei auf "Pathfinder". Ein Stoff, der bereits 1987 von dem Norweger Nils Gaup verfilmt wurde. Der epische Kampf zwischen Gut und Böse brachte es sogar auf eine Oscar-Nominierung in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“. War es bei Gaup noch die Einsamkeit Lapplands, die im Mittelpunkt stand, so tauscht Nispel diese für sein sehr freies Remake (Budget: 45 Mio. Dollar) gegen die undurchsichtigen Sumpflandschaften und Wälder British Columbias ein. Statt kühler Farben dominieren bei ihm erdige Braun- und Grautöne. Der ganze Film wirkt, als habe man ihn nachträglich durch den Dreck gezogen. Dazu Nebel, wohin man blickt. In nahezu jeder Szene, in jeder Einstellung haut er uns seine ästhetisierte Sicht um die Augen. Was beim Kettensägermassaker in Ton und Stil zum nihilistischen Inhalt und den perfiden sadistisches Eskapaden des Plots passte, nervt in "Pathfinder" aufgrund seiner Eindimensionalität und Redundanz spätestens nach einer halben Stunde. Hinzu kommt, dass es schwer fällt, bei all dem verwaschenen Braun und Grau während der hektisch geschnittenen Kampfsequenzen den Überblick zu behalten. Zum Glück tragen die bösen Nordmänner ihren gehörnten Kopfschmuck, was sich bei den teils arg verwackelten Handkameraaufnahmen als unschätzbarer Vorteil erweist.
Nachdem "Ghost" bereit ist, den Kampf aufzunehmen und für die ermordeten Clan-Mitglieder Rache zu nehmen, entwickelt sich der Film zu einer langwierigen mitunter sehr zähen Aneinanderreihung von zumeist blutigen Actioneinlagen mit klassischen Jump’n’Run-Elementen. Die Frage, wo das zugehörige Videospiel bleibt, scheint mehr als berechtigt. Nur selten traut sich Nispel dabei, ironisch die Absurdität der Handlung zu kommentieren. So kann die gezeigte "Schlittenfahrt" samt Erfindung des vermutlich ersten Schneemobils unmöglich ernst gemeint sein. Oder etwa doch? Unfreiwillig komisch ist in jedem Fall vieles von dem, was wir innerhalb der 100 Minuten vorgesetzt bekommen. Sei es das platte Geschmachte der beiden Liebenden, Ralf Möllers Fantasie-Akzent zum untertitelten Wikinger-Kauderwelsch oder die mit dem Holzhammer vorgetragene Wetter-Metaphorik. Ja, für unseren tapferen Helden wird eines Tages die Sonne wieder scheinen.
Niemand wird von einem Film wie "Pathfinder" Anspruch oder eine intelligente Dramaturgie einfordern. Da Nispel den Zuschauer – wie das Finale an der Felswand und die angedeutete Liebesgeschichte beweisen – jedoch auch auf einer emotionalen Ebene erreichen möchte, muss er sich die Kritik gefallen lassen, dass ihm dies gänzlich missraten ist. Dafür vollzieht sich schon das, was hier nicht einmal in Ansätzen mit dem Begriff "Charakterentwicklung" umschrieben werden kann, nur entlang der üblichen Stereotype. Erst ist der kleine "Ghost" verängstigt, dann steigt in ihm der Hass hoch auf die, die ihm alles genommen haben. Et voilà! Schon ist die Wandlung des edlen Kriegers perfekt. Zwischen den Actioneinlagen ergeht sich das Drehbuch zu allem Überfluss in Dialogen, deren zusammenkopierte Ansammlung an Nonsens-Plattitüden kaum mehr zu überbieten sein dürfte. Karl Urban kämpft an dieser Front gegen einen Gegner, den er nicht besiegen kann.
Ließ sich aus der 80er Jahre-Testosteronschleuder "Conan – Der Barbar", die für Nispels Schlachtplatte augenscheinlich Pate stand, zumindest unter dem Trash-Aspekt ein gewisser Unterhaltungswert herausfiltern, so fällt diese Komponente bei der 45 Mio. Dollar-Produktion Pathfinder weg. Nur wer bereit ist, sich über die teils verbissene Ernsthaftigkeit zu amüsieren, dürfte den Gang ins Kino nicht bereuen. Allen anderen, die mal wieder Lust auf eine rasante, nahezu perfekt inszenierte Actionhatz im archaischen Gewand verspüren, sei Mel Gibsons jüngstes Passionsspiel "Apocalypto" ans Herz gelegt. Letzteres schlägt dort mit Verve von der ersten bis zur letzten Sekunde. Bei "Pathfinder" findet sich an gleicher Stelle lediglich ein großer, schwarzer Fleck.
>> verfasst von Marcus Wessel