Moviebase Sick House
Engländer habe ihre ganz spezielle Art, Filme entsprechend zu präsentieren. Dass sich dieser Umstand oft sehr positiv auf das eigentliche Geschehen ausübt, hat Neil Marshall mit seinem The Descent 2005 mehr als eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Das Höhlenabenteuer weilt noch heute an erster Stelle unserer Top 10. Mit einer 95% Wertung wird ihm den Thron so schnell wohl auch kein Film streitig machen können. Mit Sick House versucht sich Neuling Curtis Radclyffe an dieser Hürde, meistert den Sprung letztendlich aber nicht ganz so bravourös wie das gruselige Vorbild.
Anna, eine Archäologin im alten London, wandelt auf einer heißen Spur. Erstmals konnte sie zusammen mit ihren Kollegen einen guten Fund vorweisen, der ihr auch gleich wieder aus den Händen zu gleiten scheint. Das alte Gemäuer, ein Waisenhaus aus dem siebzehnten Jahrhundert, birgt mit seinen verseuchten Ratten eine große Gefahr für alle Einwohner der regnerischen Metropole. Zur Zeit der Pest, als Heiler mit spitzen Masken ihr Unwesen auf den matschigen Strassen trieben, suchten verwaiste Kinder in dem weitläufigen Gebäude Schutz. Welche schrecklichen Taten sich vor hunderten von Jahren in den kleinen Zimmern abgespielt haben, sind noch heute an Wandmalereien und merkwürdigen Erscheinungen sichtbar. Als das Haus zum Abriss freigegeben wird, sieht Anna eine letzte Chance, ihren großen Fund zu wahren, bevor Bulldozer das geschichtsträchtige Werk abreißen.
Die wenigen Erfahrungen, die Regisseur Curtis Radclyffe vor dem Dreh von The Sick House sammeln konnte, sieht man dem sympathischen Horrorfilm aus England leider Gottes an allen Ecken und Kanten an. Beginnend bei der technischen Umsetzung, die vor Mangelerscheinungen nur so strotzt. Farbfilter, die körnige Bildauflösung, die durchweg präsente Unterbelichtung und eine wackelige Kameraführung. Dinge, die sehr schnell zum pochenden Nervfaktor anschwellen. Ließe sich eine Konstante vermissen, könnte man diesem Debütwerk keinen bösen Willen unterstellen, doch dem ist nicht so. Die ewige Dunkelheit, die derart ins Schwärzliche rückt, dass Details verloren gehen, kann der Produktion sicherlich als Budgetmangel ausgelegt werden, tröstet jedoch nicht über stringenten Mängel hinweg.
Was an technischen Mitteln fehlte, machten die Produzenten mit der Storyline wett. Denn im Gegensatz zur Konkurrenz steigt im Verlauf der Spielzeit das Interesse erheblich. Die düsteren und mystisch ausgearbeiteten Pestheiler, vergleichbar mit einem Krähenmenschen, verstricken sich in Wahrheit und Aberglauben. Ärzte, die sich dem Verlangen nach Forschung hingeben, sind in der Zeitgeschichte schließlich nicht abwegig. Weshalb es dann ausgerechnet die von der Pest verschonten Kinder zu meucheln gilt, liegt im Argen und stellt den roten Faden im Kampf der Geschichte dar. Anna, verkörpert von Jeepers Creepers Darstellerin Gina Philips, trifft bei ihrer Irrfahrt durch die unterirdischen Gänge auf vier Jungendliche, die sich vor der Polizei versteckt halten.
Die charakterliche Zeichnung bleibt weitestgehend fehlerfrei, beschränkt sich jedoch fast ausschließlich auf Anna. Für professionellere Darsteller hat es im weiteren Streifzug durch die Riege leider nicht gereicht. Penetrant unausgeglichen und vor allem unglaubwürdig verhalten sich die späteren Opfer schlussfolgernd deshalb auch. Um des Rätsels Lösung zu finden und die Büchse der Pandora zu öffnen, zeigen sich die Protagonisten jedoch ausreichend. Zum Glück aller ergeht sich Radclyffe nicht im Blutbad aktueller Produktionen und findet stattdessen ein ausgeglichenes Maß an Gewalt und Atmosphäre.
Zu viel Leerlauf und zu wenig Substanz erschweren den Weg, den es bis zum Abspann zu erarbeiten gilt. Effekt- und wirkungsvolle Szenen würzen den tristen Alltag im von der Pest verseuchten Anwesen zwischendurch immerhin gewaltig. Von Füchsen, die immer zur gleichen Uhrzeit an die Häuserwand pinkeln und extrem deformierten Kindern, deren Schicksal verborgen bleibt, wird alles geboten, was das schaurige Herz begehrt. Auch hier fallen die vortrefflich in Szene gesetzten Angriffe dem mangelnden Budget zum Opfer. Radclyffe beschränkte sich deshalb auf die geräuschvolle Untermalung plötzlicher Erscheinungen, die laut klirrend immer wieder zu gefallen wissen, den schalen Beigeschmack, dies alles doch irgendwo bereits gesehen zu haben, traurigerweise nicht im Keim ersticken können. Ein Paradoxon schwebt unerlässlich über dem Sick House und löst sich erst, als das Ziel ins Jenseits gleitet. Fragende Blicke als Folge inbegriffen.
Die interessante, aber inhaltlich zu leere Geschichte scheitert daran, 90 Minuten Spannung zu gewährleisten. Von den technischen Mängeln abgesehen, hätte Sick House unter wohligeren Produktionsbedingungen also durchaus ein reizvolles Abenteuer werden können. Aber auch so offenbaren sich für das Auge durchaus ansehnliche Reize, die im Einerlei jedoch mühsam ausgesondert werden müssen. Wer sich nicht scheut, ein paar unwegsame Details zu übersehen, wird mit Sick House durchaus seine Freude haben, auch wenn man aus England deutlich bessere Kost gewohnt ist. Was wahren Horror ausmacht, bleibt natürlich wie immer subjektiv.
>> verfasst von Torsten Schrader