Moviebase An American Crime
Letztes Jahr spielte sie als fieses 14-jähriges Girlie in David Slades „Hard Candy“ den Täter, im Jahre 2007 das Opfer in An American Crime. An American Crime erzählt die wahre und grausame Geschichte eines Mädchens, welches misshandelt wurde. Anders als bei den anderen Horrorvertretern, die mit der Aufschrift „based on true events“ werben, scheint die Authenzität bei American Crime mehr als nachvollziehbar. Ein packender Film, den Tommy O’Haver („Ran an die Braut“) da auf die Beine gestellt hat.
1965 wurde ein 16-jähriges Mädchen im beschaulichen Bundesstaat Indiana in den Keller gesperrt und aufs gehässigste gequält. Nicht von einem der üblichen Verdächtigen – nein, von ihrer Pflegemutter, deren eigenen Kindern und der halben Nachbarsjugend! Die Willkür und Bodenlosigkeit dieses Verbrechens war ein tiefer Schock für die amerikanische Öffentlichkeit. Tommy O’Havers Verfilmung gelingt es, den Fall in schier unerträglicher Intensität nachzuzeichnen. Es ist die Leidensgeschichte der jungen Sylvia (Ellen Page).Weil ihre Eltern auf Reisen sind, lebt sie gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester Jennie für zwanzig Dollar die Woche in Pflege bei Gertrude Baniszewski und ihren sieben Kindern in bescheidenen Verhältnissen. Sylvia ist ein braves Mädchen. Genau dies wird ihr zum Verhängnis, als herauskommt, dass Gertrudes älteste Tochter Paula schwanger ist. Der aufgestaute Zorn der allein erziehenden, alkoholabhängigen Mutter entlädt sich urplötzlich auf Sylvia: Als „schlechter Einfluss“ diffamiert wird der Teenager im Keller gefesselt und mittels Nahrungsentzug und Schlägen von Gertrude und den Kindern „bestraft“. Alle machen mit oder schauen zumindest zu. Es ist eine Hemmschwelle gefallen, ohne die sich die Gräueltat blitzschnell zur Norm etabliert. Sylvias Schmerzen werden einfach ausgeblendet. Erklären lässt sich das abartige Handeln der Einzelnen in der späteren Gerichtsverhandlung nicht mehr. Hier starrt man in versteinerte Gesichter. Vor allem die uneinsichtige Hauptangeklagte Gertrude Baniszewski (Catherine Keener) macht die Sinnlosigkeit der Tat qualvoll deutlich. Sylvia Likens Martyrium war den Menschen einfach egal.
Wir befinden uns in den 60er Jahren. Schöne Kulissen und tolle Kostüme lassen uns in dieser Zeit auch schnell heimisch werden. Aufgebaut ist An American Crime in etwa so wie „Der Exorzismus von Emily Rose“. Auf der einen Seite steht die Gerichtsverhandlung, auf der anderen die Vergangenheit der 60er. Anders als bei „Emily Rose“: Das Thema und der Anteil von Gericht und Erzählung. Überwiegend befindet sich der Zuschauer nämlich inmitten der Geschichte von Sylvia (wieder großartig: Ellen Page). Diese ist so unfassbar schockierend, dass man als Betrachter bald keine Möglichkeit mehr hat, sich dem Gezeigten zu Entziehen. Zu spannend und fesselnd ist An American Crime.
Denkwürdig ist auch die super Leistung von Catherine Keener als Rabenmutter. Immer mehr versinkt sie in ihren Sorgen und kommt bald überhaupt nicht mehr mit den Kindern klar. Damit diese aber weiterhin Respekt vor ihr haben, stellt sie mit Gewalt und Strenge klar, wer der Herr im Hause ist, wenn der Mann nicht mehr da ist. Die psysischen Abgründe sind deutlich erkennbar, Keener verkörpert die Mutter hervorragend. Von einer zu Beginn liebevollen Mutter mit sechs Kindern, zu denen dann die beiden Schwestern Jennie und Sylvia hinzukommen, wandelt sich Gertrude zu einer folternden Frau, der so niemand begegnen möchte
An American Crime schockt mit seiner Realität und der Tatsache, wie sich so was denn im richtigen Leben abspielt. Zigaretten werden auf der Haut der jungen Sylvia ausgedrückt, die Nachbarskinder eingeladen, um das Mädchen zu foltern und sie nach Herzenslust zu maltretieren. Warum nur greifen die Nachbarn, die die Schreie Sylvias mehr als hören, nicht ein, und warum machen auch die Kinder bei solch perversen Spielchen mit? Szenen, bei denen man den Kopf schüttelt, die sich ins Gedächtnis brennen. Den Film kann man nicht so schnell vergessen und auch einige Zeit später wird man sich fragen: Wieso gibt es so etwas?
Dass die Mutter im Gerichtssaal dann auch noch an ihrer Version festhält, obwohl ihre eigenen Kinder identische Aussagen vorweisen und ihre Mutter allesamt beschuldigen, zeigt die gespaltene Persönlichkeit der kranken Frau. Wer nicht mal seinen Kindern glaubt und sie gar der Lüge beschuldigt, was ist mit solch einer Person nur los? Was geht in so jemandem vor? Schaut man in das finstere und keine Reue zeigende Gesicht Gertrudes, scheint es so, als wüsste sie es selber nicht.
An American Crime unterhält nicht, er fesselt. Der Film muss verdaut werden, und das braucht seine Zeit. Nicht zuletzt wegen der schauspielerischen Leistungen und der ruhigen Bilder ist An American Crime absolut sehenswert. Rührend, schockierend, faszinierend.
>> verfasst von Janosch Leuffen