Moviebase Eden Log
Frankreich und seine frische Zunft der Filmemacher. Während amerikanische Produktionen des Genres qualitativ immer weiter in den Dunstkreis des Mittelmaß eintauchen, legt das europäische Kino an Kreativität zu. High Tension, Inside, Frontiere(s), Martyrs und viele kommende Projekte belegen, dass das französische Kino in keinem Fall schläft. Franck Vestiel erfüllte sich mit der Umsetzung seines SciFi-Thrillers einen Traum, der, in den Kinosälen angelaufen, alsbald wie eine Seifenblase zerplatzen sollte. Nur 200.000 Dollar an Einnahmen war den Kinogängern das Debütwerk aus heimischer Produktion wert. In Deutschland wird demnächst bei den Fantasy Filmfest Nights Premiere gefeiert.
Tolbiac erwacht in einer großen Erdkuhle voller Schlamm. Kalter Schlamm. Dunkelheit. Kälte. Das Atmen fällt schwer. Ohne Kleidung, von oben bis unten bedeckt mit einer grauen Kruste, erhebt sich der Mann aus seinem kühlen Bett im Untergrund. Tastend im schwarzen Schein, liegt eine verwesende Leiche vor ihm, eine Lampe fest umklammert. Immerhin für Licht sollte nun zu sorgen sein. Eden Log beginnt mysteriös. Was Tolbiac hier unten zu suchen hat, weiß er nicht. Welchen Namen er trägt, weiß er nicht. Ebenso unergründlich scheint seine Umgebung zu sein, die sich als unheimliches Konstrukt aus Erdreich, Metall und neuartiger Technologie entpuppt. Ein Eingang und schwere Tore gewähren Einlass in die Eden Log. Bist Du bereit?
Die Erwartungshaltung? Sie wird uns um die Ohren gehauen. Dieses französische Abenteuer von Franck Vestiel sträubt sich konsequent gegen jede Zuordnung. Horror, Sci/Fi, Thriller oder Drama. Welches Attribut nach erfolgter Sichtung den Hauptstellenwert einnimmt, liegt ebenso im Auge des Betrachters wie das finale Fazit über den Ausgang der Geschichte. Zusätzlich rebelliert der Film gegen jedwede Genrekonvention. Obwohl die Dialoge in argen Grenzen gehalten werden und wir uns daher fast lautlos durch das nicht überblickbare Labyrinth aus Gängen und Ebenen bewegen, ist das Grundgerüst tiefsinnig und auf einen Blick nicht vollends auf den Punkt zu bringen. Etwas Neuwertiges aus Frankreich? Schon. Experimentalfilm trifft es an dieser Stelle noch am direktesten.
Ohne zu wissen, welchen Hintergrund diese unheimlichen Gänge und ein an der Wand hängender Mann zu haben scheinen, gräbt sich Tolbiac langsam gen Oberfläche. Doch was ist an dieser vermeintlichen Oberfläche? Organische Wurzeln eines Baumes leiten den Weg ins Ungewisse. Forschungsstationen und Aufzüge kreuzen den Weg, ausgekleidet mit futuristisch anmutender Planenoberfläche. Doch plötzlich: Mutanten, unheimliche Geräusche und Männer in schwarzen Kampfanzügen. EDEN LOG zeigt sich in technischer Hinsicht mehr als verspielt. Die Handkamera klebt unentwegt am Körper des Protagonisten, was die Orientierung des Öfteren vollends aus der Bahn wirft. Wo bin ich? Sind die verwackelten Aufnahmen nicht schon Overkill genug, gesellen sich zu einem Großteil der Laufzeit schwarze und unkenntliche Bilder. Die schwarz-weiße Farbpalette versprüht einen Anflug von Hoffnungslosigkeit. Farbige Aufnahmen gehören zu einer seltenen Begleiterscheinung, was EDEN LOG den gewollten Hauch von Zukunft verleiht.
Vestiel brilliert als unerkanntes Regietalent. Der Franzose spielt mit der Projektion von Videoaufnahmen und erzeugt durch Einsatz dessen den geisterhaften Auftritt des Vergangenen. Liegt hier der Schlüssel zur Erinnerungen und Eden Log begraben? So unklar die Wendungen und Dialoge bis zu einem gewissen Punkt auch sein mögen, auf musikalischer Ebene weiß EDEN LOG durch stimmige Vielfalt zu überzeugen. Alex und Willie Cortés ist zu verdanken, dass die Stille niemals erdrückend bleibt. Mystische Arrangements und actionreiche Untermalung drücken sich die Klinke in die Hand und machen das Hörbare zu einem wahren Traum. Doch selbst diese Lückenfüller bewahren das Gezeigte nicht vor dem einen oder anderen Durchhänger im Verlauf. Durch den geringen Einsatz von Handlung und Dialog liegt es beim Zuschauer selbst, die Taten der Akteure zu ergründen. Viel zu oft wird der Betrachter in diesem tiefen Loch aus Dunkelheit zurückgelassen.
EDEN LOG wäre nicht EDEN LOG, würde jedes Detail an dieser Stelle auf dem Silbertablett serviert werden. Der Reiz des Vorliegenden spiegelt sich in der Unkenntlichkeit wider. Das finale Geheimnis lohnt es, über neunzig Minuten durch leere Gänge zu hechten, um am Ende vor den wiederkehrenden Gedanken des Tolbiac zu stehen. Es kommt überraschend, keine Frage. Mit seiner aus Videospielen entliehenen Beklemmung, der One-Man-Show eines Clovis Cornillac, sowie apokalyptisch anmutender Albträume, die die Menschheit zukünftig begehen könnte, bleibt das Erstaunen nicht aus. Dieser Film ist experimentell, neuartig und daher so erfrischend anders. Und gerade weil sich EDEN LOG als Vorreiter der neuen Kinolandschaft Frankreichs versteht, ist das Endergebnis keinesfalls perfekt, jedoch allemal eine Erforschung wert.
>> verfasst von Torsten Schrader