Moviebase Broken, The
In unserem Spiegelbild erkennen wir uns selbst. Aber darin, darauf weisen zumindest einige Autoren psychoanalytischer Theorien hin, liegt immer auch ein Missverständnis verborgen, denn natürlich sind nicht wir es, der oder die uns da aus dem Spiegel entgegenblickt, sondern unser Abbild - wie wir, und doch nicht wie wir. Wir wollen uns im Spiegel wieder erkennen, aber wir sind es nicht.
Ein identischer, nur eben spiegelverkehrter Doppelgänger - schon das eigene Spiegelbild so zu sehen eröffnet große Vorstellungsräume für das Unheimliche. Denn wer weiß schon, ob unser Spiegelbild nicht doch ein Eigenleben hat? Uns unseren Bewegungsradius, unsere Freiheit neidet? Was wir für einen optischen Effekt von Spiegelung halten könnte, damit spielt nicht nur das Horrorgenre immer wieder (man denke nur an Lewis Carrolls Roman „Alice hinter den Spiegeln“), auch nur eine andere Seite, gar eine andere Welt sein.
„Mirrors“ von Alexandre Aja hat sich auf dem Fantasy Filmfest 2008 dieses Themas angenommen, bei ihm verbergen sich hinter den Spiegeln drastische und blutige Schrecken. Im gleichen Programm wurde Sean Ellis’ „The Brøken“ vorgestellt, der seinen Horror wesentlich subtiler und unterschwelliger betreibt. Seine Heldin Gina (Lena Headey) ist Ärztin, Radiologin, und in den ersten Szenen sieht man sie die Röntgenaufnahmen eines Patienten mit Situs inversus begutachten, einer anatomischen Besonderheit, bei der die inneren Organe spiegelverkehrt zur üblichen Anordnung liegen. Schon mit dieser Diagnose deutet der Film an, bevor auch nur ein Spiegel im Bild war, wohin die Reise gehen wird.
Kurz vor einem dramatischen Autounfall begegnet Gina einer Frau, die ihr bis aufs Haar zu gleichen scheint; sie folgt der Frau sogar in ihre Wohnung, kann sich jedoch nicht mehr daran erinnern, was dann vorgefallen ist, weil sie durch den Unfall ihr Gedächtnis teilweise verloren hat. Allerdings hat sie den Eindruck, dass ihr Freund sich völlig verändert hat – wie ein gefühlskalter Fremder wirkt er auf sie. Ab da spult sich die Geschichte von „The Brøken“ mit einer gewissen Zwangsläufigkeit und Vorhersehbarkeit ab, die wohl auch ein wenig damit zu tun hat, dass man das Gefühl nicht los wird, einem, pardon, Spiegelbild all der unzähligen seit den 50er Jahren gedrehten Variationen auf „Invasion of the Body Snatchers“ beizuwohnen, wenn sich nach und nach die Menschen um Gina herum zu verändern beginnen.
Mit Außerirdischen haben wir es hier allerdings mitnichten zu tun, und ganz so einfach und durchschaubar, wie es die Gegenüberstellung mit den Körperfressern vermuten ließe, ist „The Brøken“ dann doch nicht. Stattdessen gelingt es dem Film durchaus zu fesseln, was auch an der großartigen Hauptdarstellerin liegt, die hier etwas mehr aufspielen und auftreten darf als seinerzeit im Comicgemetzel „300“. Darüber hinaus ist die Inszenierung zwar wenig aufregend, aber grundsolide, wenn auch - denkt man dem Film von seinem finalen Plottwist her - nicht immer völlig konsequent. Effektvoll wie effektiv ist aber die Art und Weise, wie die Spiegel im Film nicht nur als bedrohlich in Szene gesetzt werden, sondern ihre spezifischen optischen Eigenschaften auch als Spannungselement eingesetzt werden, zum Beispiel die Illusion von Raum, die sie erzeugen.
Darüber hinaus nutzt Ellis aber auch ganz klassische Horrorsettings für seine Story und widersteht schlussendlich auch der Versuchung, uns irgendeine hanebüchene Erklärung für die Ereignisse aufschwatzen zu wollen. Stattdessen nimmt er die Frage nach unserer Identität, die die Existenz des Spiegelbilds aufwerfen kann, und geht auf der Suche nach der Antwort bis zum letztmöglichen Ende. Dass für diese Reise die Kamera nicht eben der zufälligste Begleiter ist, liegt auf der Hand; und auch Lena Headey sieht als Gina mit Bluterguss im Auge offenbar auch nicht immer alles ganz klar. Ich ist eben doch ein anderer, aber wer?
>> verfasst von Rochus Wolff