Frankreich, das Land des neuen Horrors – auch der guten Thriller? Filmemacher Thomas Vincent („Karnaval“, „The Hook“), der bei THE PROTOCOL die Regie und das Verfassen des Skripts übernahm, nimmt in seinem Werk die Pharmaindustrie unter die Lupe. Was steckt in angeblichen Hilfsmitteln wirklich und befreien sie den Einnehmer überhaupt vom Leid – oder fügen sie ihm stattdessen nur noch mehr Schmerzen zu? Der französische Thriller bietet die Suche nach einer Antwort, die während des Betrachtens zuweilen in den Hintergrund gerät.

Zwei Anrufe werfen Waldarbeiter Raoul Krafts Leben brutal aus der Bahn: Sein 18-Jähriger Sohn Frank hatte einen tödlichen Autounfall und hinterlässt ein Handy, das beharrlich klingelt. Es meldet sich darauf eine junge Frau namens Diane. Sie ist überzeugt, dass Franks Tod auf das Konto der Pharmaindustrie geht. Genauer gesagt hat sie die Pharma-Multis im Visier, die auf Kosten der armen Länder Wundermittel gegen Zivilisationskrankheiten wie Glatze, Schlaflosigkeit, und Impotenz entwickeln und Todesopfer eiskalt einkalkulieren. Hirngespinste einer besessenen Ideologin, wie der bodenständige Raoul zunächst glaubt? Oder hat Frank wirklich ein neues Migränemittel genommen? Wie konnte er überhaupt aus dieser Kurve krachen? Kaum nimmt Raoul Fährte auf, gerät er in einen gefährlichen Strudel von Ereignissen…

Die ernste Thematik von PROTOCOL ist ein guter Ansatz für einen Krimi dieser Art. Wer hat sich nicht schon mal gefragt, ob das Medikament, was man gerade einnimmt, wirklich hilft und keine Nebenwirkungen verursacht? Vincents Idee geht sogar soweit, dass der Filmsohn des Hauptdarstellers eine neue Droge für einen Konzern freiwillig testet und die folgenden Konsequenzen tragen muss. Die Jagd nach den Verantwortlichen beginnt zunächst ruhig. Das geschiedene Ehepaar trauert um seinen Verlust, Raoul versucht sich mit seiner Arbeit abzulenken. Bis eben Diane, eine Verfechterin der Pharmakonzerne, auftaucht und Nachforschungen anstellt.

Ab diesem Zeitpunkt wird es deutlich turbulenter. Dem ein oder anderen wird die hektische und laute Art von Marie-Josée Croze als Diane bald auf die Nerven fallen, Clovis Cornillac als Raoul dagegen gefällt mit seiner Verkörperung eines frustrierten und nach der Wahrheit suchenden Mannes. Doch auf der Suche nach der wirklichen Todesursache gerät das Grundgerüst mit der Pharmaindustrie zwar nicht komplett in Vergessenheit, wird aber zunehmend in den Hintergrund gedrängt. Aus dem zunächst ruhig erzählten Frankreich-Krimi wird mit der fortgeschrittenen Laufzeit ein kleines Action-Spektakel. Schlägereien, wilde Autojagden und ein sich so gar nicht mehr im Griff zu haben scheinender Raoul sind da an der Tagesordnung. Das ist zwar alles schön anzusehen und sorgt für ein gewisses Adrenalin, dafür wird es aber schwieriger, die genaue Absicht und die eventuelle Schuld der Arzneimittelhersteller herauszufinden. Ein wenig verstrickt sich PROTOCOL hier in seinen verschiedenen Strängen.

Die kühlen Bilder, die Dominique Bouilleret einfing, erzeugen eine passende Atmosphäre, ohne zugleich etwas völlig Neues zu bieten. Man kann dem Gezeigten folgen und wichtige Details werden nicht vergessen. Bis zum Finale scheint Vincents Film als kleiner französischer Krimi mit der ein oder anderen Action-Einlage daherzukommen – bis Raoul nur noch auf eigene Faust recherchiert und handelt. Dann wird das Szenario zum Thriller mit der nötigen Entschlossenheit, auch wenn man sich getrost die Frage stellen kann, ob ein Holzfäller wie Raoul Kraft für solche Dinge in der Lage wäre. So verfolgt der Mann die Spur nicht nur in Frankreich, sondern setzt in ein deutschsprachiges Land über und stattet der Hauptorganisatorin der Pharmakonzerne einen Besuch ab, der sich gewaschen hat. Welche genaue Aussage Filmemacher Vincent uns mit seinem konsequenten Finale denn nun auftischen möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden.

THE PROTOCOL bietet gute Ansätze und eine mitunter nachdenkliche Geschichte, kann die Verzweiflung und Panik über Tod bringende Krankheitsmittel allerdings nur bedingt ausdrücken, nachdenklich zurück bleibt man nach Ende des Films eher nicht. Hier wäre mehr zu holen gewesen, auch wenn es noch zu einem Krimithriller knapp über dem Durchschnitt ausreicht.

>> verfasst von Janosch Leuffen