Moviebase Jack Ketchums Beutegier
Liest man heute Jack Ketchums Debütroman "Off Season", erscheint dieser wie eine Blaupause für aktuelle Backwoods-Ableger wie "Wrong Turn". Alle Schlüsselelemente sind hier bereits vorhanden: Im Wald hausende Kannibalen, arglose Teenager, hilflose Polizisten und eine ganze Menge Blut und Gekröse. Natürlich war auch Ketchum (beziehungsweise Dallas Mayr, wie der Autor mit bürgerlichem Namen heißt), als "Off Season" im Jahre 1980 enstand, wiederum stark von Genre-Vertretern der Siebziger und deren oftmals zynischer, exzessiver Gewaltdarstellungen beeinflusst. Nun erscheint hierzulande die Verfilmung der Forsetzung seines Erstlingsromans: "Beutegier".
Die Handlung ist dabei in wenigen Sätzen zusammengefasst: In den Wäldern des amerikanischen Bundeststaates Maine treibt ein Stamm von Kannibalen sein Unwesen, der, seinen eigenen, bizarren Regeln folgend, Jagd auf die Bewohner der Umgebung macht. Der Film folgt einer jungen Familie, die in die Hände der blutrünstigen Wilden fällt. Regisseur Andrew van den Houten hat aus Ketchums Vorlage einen kleinen, bösartigen Film gemacht, der dem Roman an ausufernden Gewaltszenen in nichts nachsteht. Aber zum Glück hat "Beutegier" mehr zu bieten als bloßen Gore. Auffällig sind vor allem die für Independent-Horror-Verhältnisse überzeugend agierenden Darsteller. Auch wenn ihnen das Drehbuch nicht gerade die cleversten Dialogzeilen oder tiefgreifende Charakterzeichnungen bietet, so wissen vor allem Amy Hargreaves und Ahna Tessler mit ihrer unprätentiösen, lebensnahen Darstellung der zwei entführten Frauen zu überzeugen. Gemeinsam mit den ungeschönten Bildern des Kameramanns William M. Miller (unter anderem auch Jack Ketchums "Evil") verleihen sie dem Film einen beunruhigend realistischen, fast dokumentarischen Stil.
Gekonnt wechselt Regisseur Van den Houten zwischen ruhigen Momenten, Suspense und brachialem Splatter, und sorgt so dafür, dass "Beutegier" trotz seines recht vorhersehbaren Plots spannend bleibt. Inhaltlich gibt es wenige Innovationen, viele Charaktere wirken, wie auch in Ketchums Romanen, holzschnittartig; den Verlauf der Geschichte kann man schon nach wenigen Minuten erahnen. Neues bietet die Handlung also tatsächlich nicht, es ist eher die präzise Machart, die hier fasziniert. Es handelt sich keineswegs um einen weiteren Vertreter des gewohnten und aktuell angesagten Backwood-Horrors; van den Houtens Film sticht vor allem dank seiner exzellenten Inszenierung aus dem Sumpf des ewig gleichen, belanglosen Splatterallerlei heraus. Dass dies mit Vorführungen auf renommierten Festivals honoriert wird, ist erfreulich.
Ein Horror-Meisterwerk ist "Beutegier" dennoch nicht geworden. Dazu fehlt zum einen auch inhaltlich der Mut zur Variation, zum anderen verliert die Produktion gegen Ende einiges an inszenatorischer Cleverness und handelt das blutige Finale allzu hektisch ab. In der deutschen Fassung des Films wird dieser Eindruck noch durch die Tatsache verstärkt, dass teilweise über dreißig Sekunden lange Gewalt-Szenen entfernt werden mussten, um eine Freigabe zu ermöglichen. In den meisten Fällen ist dies auch mehr als offensichtlich und stört den Filmfluss erheblich. Zwar bleibt die Handlung weiterhin nachvollziehbar, aber der ohnehin schon kurze, dichte Film wirkt durch die Schnittauflagen nicht nur hektischer, sondern wird auch einem Großteil seiner Schauwerte beraubt. Denn was ist der Sinn eines Splatterfilms, wenn dieser ohne Splatter auskommen muss? Die blutigen Sequenzen sind hier keineswegs selbstzweckhaft sondern vielmehr als Stilmittel zu verstehen, die Van den Houten gekonnt einsetzt.
Trotz einiger Mankos ist "Beutegier" eine positive Überraschung in Sachen Backwoods-Splatter. Das Abenteuer weiß mit kompromissloser Härte, einem sehr eigenen Look und überzeugenden Schauspielern zu begeistern. Das macht den Fakt, dass "Beutegier" in Deutschland nur in diversen gekürzten Fassungen erhältlich ist, allerdings nur umso ärgerlicher.
>> verfasst von Tim Lindemann