Moviebase Let Me In
Wer im Jahre 2011 noch über die entmutigend große Anzahl an amerikanischen Remakes, Sequels, Prequels und Reboots in den Kinos jammert, der hat die Zeichen der Zeit ganz offensichtlich verkannt. Ist man weiterhin am Hollywood-Kino interessiert, bleibt einem nichts anderes übrig, als auch diese Filme als vollwertige Kunstwerke zu akzeptieren und sie auf dieser Basis zu kritisieren. Wer das nicht kann oder will, muss sich eben mit dem filmischen Output anderer Länder beschäftigen. Und ehrlicherweise muss man zugeben, dass Prequels wie "Planet der Affen: Prevolution" und Remakes wie "Piranha" auch als eigenständige Filme zu überzeugen wussten. So weit, so vernünftig. Für den Filmfan viel unangenehmer und zum regelrecht aus der Haut fahren, ist allerdings die Strategie Hollywoods, die sich in Filmen wie "Let Me In" oder "Quarantine" offenbart: Mag das ausländische Original auch gerade einmal ein bis drei Jahre auf dem Buckel haben, schon steht eine amerikanisierte Version bereit, oftmals glattgebügelt, glänzend poliert und klinisch rein.
Es sei vorweggenommen, dass Matt Reeves "Let Me In", das Remake des vielbeachteten, schwedischen Coming-Of-Age-Horros "Let The Right One In" von 2008, zu keinem Zeitpunkt die erschütternde Geistlosigkeit des ?Rec?-Remakes "Quarantine" erreicht. Tatsächlich gelingt Reeves die Umsiedelung der Story in den amerikanischen Kontext sogar recht gut: Schauplatz ist nun eine hässliche, verschneite Kleinstadt im Staat New Mexico in den 1980er Jahren, die eine ähnlich trostlose Atmosphäre ausstrahlt wie das schwedische Nest im Originalfilm. Reeves nimmt sich der düsteren, aber ruhigen Story behutsam an, verzichtet weitestgehend auf zusätzliche Dramatisierung oder reißerische Effekte. Nur hin und wieder wurden Veränderungen vorgenommen, die wohl für mehr Tempo und mehr klassische Horrormomente sorgen sollen, diese fallen dafür auch besonders negativ auf: Zum einen baut Reeves, der auch für das neue Drehbuch verantwortlich war, eine unnötige Verkomplizierung der Plot-Chronologie ein, die dem einzigen Zweck dient, den Film direkt mit einer "Action-Szene" beginnen zu lassen. Noch störender ist das deutlich erhöhte Quantum an Kunstblut, mit dem die geschickt platzierten Schockmomente des Originals in beinahe splatterhafte Exzesse verwandelt werden.
In eine ähnliche Richtung gehen die drastischen Make-Up-Effekte, die das Vampirmädchen Abby (im Original: Eli) zeitweise in eine reißende Bestie mit Haifischmaul und völlig entmenschlichtem Gesicht verwandeln. Lebte "Let The Right One In" gerade davon, dass die realistisch inszenierte, triste Filmwelt immer nur um wenige Grad in Richtung Horror verschoben wurde und genau dadurch Gänsehaut zu erzeugen wusste, folgt Reeves der Hollywood-typischen Maxime "Mehr ist Mehr". Der Regisseur versucht also durchaus nicht zu nah am schwedischen Vorbild zu bleiben, das ja auch in Amerika zumindest unter Filminteressierten nicht unbekannt ist. Das gelingt ihm besonders mit der Besetzung der beiden jungen Hauptfiguren Owen und Abby mit den Kinderstars Owen Smit-McPhee ("The Road") und Chloe Moretz ("Kick Ass"). Auch wenn letztere mit den intensiven Momenten des Skripts nicht immer glaubwürdig umzugehen weiß, vermögen beide doch grundlegend zu überzeugen und verleihen der Neuverfilmung im positiven Sinn wortwörtlich ein amerikanisches Gesicht.
"Let Me In" gelingt es also teilweise, eine eigenständige Stimmung zu erzeugen, die für Zuschauer, die nicht mit dem Original vertraut sind, sicherlich innovativ und gelungen wirkt. Gravierender sind allerdings die Momente, in denen dem Film eben dies nicht gelingt: Traurigerweise verlässt sich Reeves nämlich gerade in den stärksten, berührendsten und schockierendsten Momenten der Geschichte darauf, die Szenen des Originalfilms eins zu eins nachzustellen, vom Dialog bis hin zur Kameraeinstellung – es handelt sich bei "Let Me In" also keineswegs um eine reine "Neuinterpretation" der Romanvorlage. Damit offenbart der Regisseur nicht nur endgültig seine eigene Mut- und Fantasielosigkeit sondern sorgt auch dafür, dass seinem Film hochverdient das Prädikat "überflüssig" verliehen werden kann. Nicht, weil "Let Me In" ein schlechter Film wäre – hier stimmt sowohl handwerklich wie atmosphärisch sehr viel –, sondern weil es mit "Let The Right One In" einen Film gibt, der die exakt gleiche, wundervolle Geschichte mit mehr Courage, mehr filmischer Rafinesse und, ja, mehr Seele erzählt und der gerade einmal knappe drei Jahre alt ist. Zählt man sich zu den Menschen, darunter auch der Autor dieser Zeilen, die "Let The Right One In" für einen der besten (Genre-)Filme der letzten Jahre halten, darf man den soliden, aber komplett sinnlosen Neuaufguss "Let Me In" also ruhig aus vollem Herzen verachten.
>> verfasst von Tim Lindemann