Im Jahr 2009 erlebte das amerikanische Horrorkino eine typische "David-gegen-Goliath"-Situation: Der unabhängig produzierte, minimalistische Reality-Horrorfilm "Paranormal Activity" triumphierte in Sachen Besucherzahlen über das Blockbuster-Folter-Spektakel "Saw" und löste eine neue Welle des Found-Footage-Genres aus. Nun, zwei Jahre später, hat sich einiges geändert. Das "Saw"-Franchise ist zu einem vorläufigen Ende gekommen und eine neue Reihe hat ihren festen Platz am Halloween-Startwochenende geltend gemacht – bei dieser Reihe handelt es sich ironischerweise um die "Paranormal Activity"-Filme, die also buchstäblich die Thronfolge angetreten haben. Die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Serien enden hier aber noch nicht: Ebenso wie die zahlreichen Fortsetzungen zu James Wans originalem (und originellem) Film, schreiben die "Paranormal Activity"-Sequels die von Oren Peli vorgegebene Geschichte keineswegs linear weiter, sondern ergehen sich in komplexen Rück- und Vorausblenden um der Story immer noch ein weiteres Kapitel hinzuzufügen.
Nach dem relativ uninspirierten zweiten Teil waren die Erwartungen an einen angekündigten dritten Film zugegeben gering. Aufhorchen ließ einzig die Wahl der Regisseure: Für "Paranormal Activity 3" zeichneten die beiden Filmemacher Henry Joost und Ariel Schulman verantwortlich, die bereits mit ihrem Debütfilm "Cat Fish" ein spannendes filmisches Experiment irgendwo zwischen Doc- und Mockumentary geliefert haben. Tatsächlich fällt schon nach wenigen Minuten auf, dass der dritte Ableger der Reihe die Form des Reality Horrors viel cleverer zu nutzen weiß als sein direkter Vorgänger. Zwar spielt sich das Geschehen auch hier wieder vor mehr als einer Kamera ab, es gelingt Schulman und Joost aber dennoch, die klaustrophobisch-beklemmende Atmosphäre des Originals von 2009 zu erreichen, ohne zu stark von Oren Pelis Debüt zu kopieren. Das funktioniert vor allem wegen einiger cleverer Kameratricks: So spielen sich einige der besten Schockmomente vor einer Überwachungskamera im Wohnzimmer ab, die in immer gleicher, ruhiger Frequenz von einer Ecke des Raumes zur anderen schwenkt, mit diesem Rhythmus den Zuschauer in Sicherheit wiegt, bis ganz plötzlich etwas Unvorhergesehenes geschieht.
Daran zeigt sich auch ein anderer Vorzug des neuen Ablegers gegenüber Teil zwei: Während "Paranormal Activity 2" im letzten Jahr all seine Gruselattacken in die letzten Minuten verlegte und insgesamt reichlich zahm ausfiel, geht es in Teil drei nun wieder deutlich mehr zur Sache, Gänsehaut und Zusammenzucken inklusive. Storytechnisch geht der Film in der Zeit noch weiter zurück, präsentiert uns den Ursprung der mysteriösen Heimsuchung der Schwestern Katie und Kristi – was der Film ganz beiläufig zum Anlass nimmt, eine enorm authentische 80er-Jahre-Atmosphäre zu kreieren. Dazu erweist sich "Paranormal Activity 3" in rein filmischer Hinsicht überraschenderweise als der bisher durchdachteste Teil des Franchises. Schulman und Joost zitieren gekonnt das Genrekino der 70er Jahre, das sich ja, vor dem Einfall der zynischen Splatterwelle, mit Vorliebe mit Besessenheit, Dämonen und dem Teufel persönlich beschäftigte. Besonders im grandiosen Finale des Films gelingt es den beiden Regisseuren, trotz der genretypischen Wackelkamera, die Stimmungskurve langsam von Unbehagen und Gänsehaut bis hin zu echtem Terror zu drehen und damit an große Klassiker wie "Das Omen" oder "Der Exorzist" zu erinnern. Auch an psychologischem Subtext versuchen sich die Filmemacher recht gelungen mit subtiler Vorsicht: Neben dem Ursprung der übernatürlichen Verfolgung legt "Paranormal Activity 3" nämlich auch eine reichlich dysfunktionale Familienstruktur offen und verbindet beide Themen im finalen Plottwist auf intelligente Weise. Wahrer Horror ist eben immer hausgemacht.
"Paranormal Activity 3" ist eine mehr als angenehme Überraschung und stellt mit Sicherheit das beste Resultat dar, welches sich aus der wenig vielversprechenden Prämisse einer zweiten Forsetzung des Originalstoffs ergeben konnte. Als einzige Kritikpunkte drängen sich lediglich die immerwährenden Krankheiten des Reality-Genres auf. Warum ein zu Tode verängstigter Mensch in Momenten größter Gefahr weiterhin brav die Kamera aufrecht hält, bleibt wie immer ein Rätsel und verdeutlicht den größten Zwiespalt des Genres: Natürlich wollen wir sehen, was passiert, und gerade die spannendsten Momente hautnah miterleben – gleichzeitig fällt es uns aber schwer, uns in die zusätzliche Erzählebene dieser Filme hineinzuversetzen, weil sie so sehr einem instinktiven, menschlichen Fluchtverhalten zuwiderläuft. Aber auch wenn der Film diesen Grundkonflikt nicht aufzulösen vermag und, das Schicksal jeder Fortsetzung, den Wow-Effekt des Originals nicht erreichen kann, ist "Paranormal Activity 3" ein kluger Horrorfilm, der Form und Inhalt gekonnt miteinander verbindet.
>> verfasst von Tim Lindemann