Moviebase Prometheus
Immer höher steigen, immer mehr verstehen, immer gottähnlicher werden: Der biblische Turmbau zu Babel erzählt von der verheerenden Macht der menschlichen Neugier, die entgegen einer höheren Kraft, ob nun Gott oder die Naturgesetze, immer weiter ins Unbekannte vordringen will. Was man in Babylon mutmaßlich mit Holz und Stein fabrizierte, unternimmt man im 21. Jahrhundert natürlich mit Raumschiffen, das Prinzip aber bleibt das Gleiche: Wenn wir unsere Ursprünge, ja, unsere Schöpfer finden könnten, mit ihnen kommunizieren, wie würden wir uns verändern? Die Antwort, die Ridley Scott in „Prometheus“ gibt, ist die gleiche, die auch das Alte Testament oder die antike Prometheus-Sage geben: Begibt sich der Mensch außerhalb eines gewissen Bereichs, räumlich wie geistig, muss er daran zerbrechen. Man merkt: Abgesehen von dem hohen Anspruch, eine Vorgeschichte zum Sci-Fi-Meisterwerk „Alien“ zu schaffen, will Scott sich auch noch mit den ganz großen Fragen der Menschheit beschäftigen – kann das funktionieren?
Die Grundidee der Story, um die lange Zeit ein großes Geheimnis gemacht wurde, ist an und für sich recht simpel, gerade deswegen aber auch enorm kraftvoll: Eine Gruppe bestehend aus Anthropologen, Archäologen, Wirtschaftsvertretern und professionellen Raumfahrern macht sich auf den Weg zu einem weit entfernten Planeten, der in Wandzeichnungen der verschiedensten Kulturen der Erde immer wieder abgebildet wurde. Das Archäologen-Pärchen Elizabeth (Noomi Rapace) und Charlie (Logan Marshall-Green) vermutet daher, das es sich dabei um die Hinterlassenschaften von Außerirdischen handeln muss, eine Einladung auf ihren Planeten. Es verdichten sich außerdem die Anzeichen, dass die Menschheit von diesen Wesen aus dem All nicht nur besucht, sondern erschaffen wurde...
Auch wenn das Konzept „Außerirdische als Schöpfer unser Zivilisation“ im Science-Fiction nicht unbedingt neu ist, eine solche Wucht wie in „Prometheus“ wurde ihm lange nicht verliehen. Obwohl einzelne Versatzstücke aus Filmen wie „Mission To Mars“ oder gar „Das Fünfte Element“ durchaus bekannt sind, gelingt es Scott von Anfang an eine unheilschwangere, instabile Stimmung zu erzeugen, die uns die Mission des Raumschiffs Prometheus gebannt verfolgen und gleichzeitig anzweifeln lässt. In entsprechend düsteren, farblosen Bildern zeichnet Scott die Oberfläche des fremden Planeten, aus der gigantische Steinkonstruktionen ragen. Diese visuelle Kälte und Sterilität ist nur konsequent, beschreibt der Film doch gerade keinen Wiedereinzug ins Paradies à la „Avatar“ sondern einen verhängnisvollen Blick hinter die Kulissen, in die Werkstatt des Universums.
Wie zu erwarten wird der Versuch, die Grenzen unseres Wissens auszuloten, nicht mit Erlösung belohnt, sondern mit Verderben bestraft. Mit großer Raffinesse konstruieren die Drehbuchautoren Lindelof und Spaiths eine von religiösem und mythischem Subtext durchwebte Geschichte, ohne dabei ihre Protagonisten aus den Augen zu verlieren. Ihr Meisterstück ist dabei die Entwicklung der Figur des Davids (Michael Fassbender), einem der aus der „Alien“-Serie bekannten Androiden. Seine künstliche, konstruierte Menschlichkeit und die gnaden- und emotionslose Durchführung seiner Programmierung wirken einerseits beängstigend maschinell, gleichzeitig aber avanciert er streckenweise beinahe zur größten Identifikationsfigur, bietet er doch ein Gegenbild zu den getriebenen Forschern. Das liegt nicht zuletzt an einer erneuten darstellerischen Meisterleistung von Fassbender. Am Schluss aber ist es doch Rapaces Elizabeth, die quasi als neue Ripley an eine Passage aus der Prometheus-Sage erinnert, und so zum Sinnbild aller menschlichen Neugier wird: Mag die Büchse der Pandora auch geöffnet sein und Unheil über die Menschheit bringen, eine neue Hoffnung, ein neues Ziel gibt es immer.
Brilliert der Film in der Inszenierung des philosophischen Unterbaus, so enttäuscht er doch gleichzeitig auch stellenweise im Aufbau des Plots und der Actionszenen. Besonders gegen Ende türmen die Autoren Wendung auf Wendung, versucht Regisseur Scott krampfhaft, visuell an den ersten „Alien“-Film anzuschließen. Ob diese Verzahnung überhaupt nötig gewesen wäre, bleibt generell fraglich. Zwar enthält „Prometheus“ einige Franchise-gerechte, atemberaubend ekelige Effekt-Sequenzen (intensives Highlight: eine „Alien-Geburt“ per Kaiserschnitt), hätte aber auch ebenso gut außerhalb des „Alien“-Kosmos funktioniert. So wirken einige Verbindungen erzwungen oder sorgen gar für verständnisloses Kopfschütteln. Die narrativen Fäden entgleiten Scott ganz besonders im großen Finale, in dem zu viele Enthüllungen und Ereignisse in zu kurzer Zeit eher ermüden als die Spannung zu erhöhen. Vom Meisterwerk, zu dem „Prometheus“ im wahrsten Wortsinn pränatal mancherorts erhoben wurde, ist Scotts neuer Film ein ganzes Stück entfernt – davon abgesehen aber handelt es sich um hochintelligentes Genrekino mit grandiosem Ensemble und eindrücklicher Optik. So verfehlt Scott mit seinen hohen Ansprüchen nur knapp den erneuten Einzug in den Science-Fiction-Olymps und unterstreicht damit ungewollt das Leitmotiv von „Prometheus“: Das Scheitern am Unmöglichen.
>> verfasst von Tim Lindemann