Moviebase REC 3: Genesis
Das spanische "REC"-Franchise dürfte eine der wenigen, wenn nicht gar die einzige Filmreihe des Horrorkinos sein, die sich von Film zu Film stetig steigert. Damit ist noch nicht einmal unbedingt eine rein subjektive Steigerung der Qualität gemeint, die Filme werden einfach auf allen filmischen Ebenen immer komplexer, selbstbewusster und cleverer. Der erste Teil war, wie viele erste Teile der Filmgeschichte, ein minimalistischer, überraschender Schlag in die Magengrube, der zudem davon profitierte, dass das "Found Footage"-Genre noch in den Kinderschuhen steckte. Mit "REC 2" reagierten die beiden Regisseure dann auf die Veränderungen im Genre, bauten zusätzliche visuelle und narrative Ebenen ein und verknüpften, in ihrem bis dato effektivsten Coup, zwei Kernelemente des modernen Horrorfilms: Zombies und Exorzismus. Im dritten Film, für den diesmal nur Paco Plaza allein verantwortlich war, wird alles noch abgedrehter: "REC 3" changiert wie ein Chamäleon zwischen Genres, Stilen und Stimmungen und verschnürt doch alles zu einem runden Ganzen.
Es beginnt wie ein mittlerweile ja durchaus handelsüblicher, multiperspektivischer "Found Footage"-Film: Durch verschiedene Kameras, also wortwörtlich verschiedene "Blickwinkel", beobachten wir ein großes Hochzeitsfest, von der Kirche bis zur anschließenden Party. Schon in dieser Anfangsphase des Films werden aber zwei große Qualitäten des Films deutlich, die ihn von anderen Vertretern abheben: Erstens gelingt es Plaza durchgehend, eine leichte, humorige Stimmung aufrecht zu erhalten, die nach Einbruch des Zombie-Wahnsinns auch gerne in drastischen Slapstick ausartet, aber die Spannung nie beeinträchtigt; zweitens hat er ein hervorragendes Ensemble gecastet, das die verschiedenen, teils herrlich karikaturesken Typen der beiden Familien mit sichtbar großer Freude verkörpert. Als dann das nette Onkelchen auf der Hochzeitsparty plötzlich Blut spuckt und einer korpulenten Brautjungfer die Kehle aufbeißt, schaltet "REC 3" genüsslich in den filmischen Schleudergang.
Mit fühlbarem Spaß arbeitet der Film nun an der Verunsicherung der Zuschauer: Einerseits werden die Splatterszenen zusehends blutiger, der Humor aber gleichzeitig wüster und anarchischer. Mag man sich zunächst wundern, dass sich dieser dritte Teil nach den beiden durchaus harten und ernsten Vorgängern plötzlich kopfüber ins Comedy-Becken stürzt, ergibt dieser Schritt bei näherer Betrachtung durchaus Sinn – mag "REC 3" auch offiziell als Prequel angelegt sein, spielt er doch eigentlich in einem ganz eigenen, bunteren Universum, in dem die Vorgängerfilme nur als düstere Fernsehbilder im Hintergrund auftauchen. Auch formell entfernt sich Plaza drastisch von den anderen Filmen, und weist mit post-modernem Meta-Humor gar noch feixend darauf hin. Denn wenn in anderen "Found Footage"-Filmen die einzige Kamera kaputt geht, ist der Film meist zu Ende und die Protagonisten tot. In "REC 3" leitet das Zerbersten der Kameralinse nach einer guten halben Stunde (!) überhaupt erst die Titelsequenz und die eigentliche Handlung ein. Forthin läuft der Film ganz "normal", mit "externer" Kamera weiter.
Mit diesem abgedrehten Trick, der Kenner des Genres unwillkürlich laut auflachen lässt, beweist Plaza großes inszenatorisches Talent – gerade, weil es ihm dabei nicht (nur) um selbstreflexiven Coolness-Faktor geht, sondern weil er mit "REC 3" einen Film gedreht hat, in dem Form und Inhalt perfekt harmonieren. Die formelle Attitüde, die sich über starre Konventionen und Formeln derart lustig macht, passt perfekt zu den inhaltlichen Ideen eines Films, in dem Menschen in Ritter- und Schwamm-Kostümen Zombies jagen und frisch vermählte Bräute Köpfe durchsägen. Wie kann man einen Film nicht lieben, der die Erzähltradition "deus ex machina" einfach mal bildlich umsetzt: Die betende Stimme eines Pfarrers schallt im genau richtigen Moment aus einem Lautsprecher und setzt so die dämonischen Zombies außer Gefecht – bis auf den Zombie-Opa, denn der trägt leider ein Hörgerät. "REC 3" ist Splatterfilm, Liebesschnulze und anarchische Komödie in einem und wirkt doch nie mosaikhaft zusammen gestückelt. Plaza ist erneut ein ganz großer Wurf gelungen, nachdem man kaum erwarten kann zu erfahren, welch irrsinnige Schlenker, Brüche und Twists im vierten und letzten Teil der Reihe warten.
>> verfasst von Tim Lindemann