Moviebase Der Tod weint rote Tränen
In Zeiten von streng wirtschaftlich kalkulierten Franchises, Spin-Offs und Remakes ist die gewisse Unberechenbarkeit aus dem Horror-Genre beinahe gänzlich entwichen. Das Genre ist in vielerlei Hinsicht zur billigen Geisterbahn verkommen, die zwar verlässlich brachiale “Buh!”-Momente liefert, darüber hinaus aber die Möglichkeiten zur visuellen und thematischen Grenzüberschreitung aus Profitgründen ignoriert. Aber Achtung: Ganz ist es noch nicht gelungen, die subversiven Elemente des Horrorfilms auszumerzen – junge Filmemacher aus vielen Ecken der Welt arbeiten mit Hochdruck an einem Revival des “Weirdo Horrors”. Dazu gehört auch das belgische Regie-Duo Hélène Cattet und Bruno Forzani – die beiden haben ihr ganz eigenes Mittel, um Sehgehwohnheiten herauszufordern und Schubladendenken zu attackieren: Wilde Psychedelik!
Nach ihrem sogar von Quentin Tarantino geadelten Vorgänger “Amer” folgt mit dem mysteriös betitelten “Der Tod weint rote Tränen” der nächste Eintrag der beiden Belgier ins “Acid Horror”-Subgenre. Dieses ist zwar in der Gegenwart verankert, definiert sich aber durch alle möglichen Bezüge auf vergangene Film-Epochen: Einerseits visuell, durch eine optische Imitation der psychedelischen Genre-Filme der 60er und 70er Jahre (Argento, Bava, Jodorowsky, etc.), andererseits auch formell – “Der Tod weint rote Tränen” wurde auf gutem, alten 16 Millimeter-Filmmaterial gedreht, alle Effekte sind handgemacht.
Die Story des Films zu erläutern ist beinahe überflüssig, da sie im überbordenden Rausch der Bilder, den die Filmemacher hier abfeuern, mehr und mehr untergeht. Zumindest in der grandiosen ersten Hälfte des Films aber spielt die Ausgangssituation noch eine gewisse Rolle: Dan Kristensen (Klaus Tange) kehrt nach einer Geschäftsreise in sein Appartement in einem wunderschönen Jugendstilhaus in Brüssel zurück und muss dort feststellen, dass seine Frau verschwunden ist. Einige Indizien sprechen für eine Gewalttat. Dan begibt sich zunächst auf einen Gang durch das labyrinthische Haus um möglicherweise bei den Nachbarn Hinweise zu erhalten. Damit beginnt eine albtraumhafte Reise in die zahlreichen bizarren Welten, die sich hinter den verschiedenen Wohnungstüren verbergen.
Schon die erste Exkursion in das Appartement einer alten Frau sorgt für wohlige Gänsehaut: Die Nachbarin glaubt, dass ihr Mann einst von unheimlichen Wesen in die Zwischenwände des Hauses entführt wurde. Cattet und Forzani inszenieren das mit wahnwitzigen Kamerabewegungen, nicht-linearen Schnitten und spektakulären Effekten: Der filmische Raum zersetzt sich vor unseren Augen, keine Perspektive scheint stabil zu sein, hinter jeder Wand lauert ein Geheimnis. Das aufwendige, liebevolle Retro-Setdesign zersplittert in düster-bunte Fragmente, nur um kurz darauf wieder neu zusammengesetzt zu werden. “Der Tod weint rote Tränen” ist ein surrealistisches Filmgemälde, in dem Farben, kuriose Objekte und menschliche Körper zu einer einzigartigen Collage zusammenfinden.
Gleichzeitig aber kommen auch Liebhaber des europäischen Trashkinos der 70er Jahre auf ihre Kosten: “The Strange Colour Of Your Body's Tears” geizt in bester Giallo-Tradition nicht mit nackter Haut, drastischer Gewalt und schwarzen Lederhandschuhen. Auch diese Filme zelebrierten schließlich schon die Maxime “Style over Substance”, visueller Exzess über lästige Logik. Das verbindet Forzani und Cattet übrigens auch mit dem Briten Peter Strickland, der mit seinem “Berberian Sound Studio” im letzten Jahr einen ganz ähnlichen Beitrag geliefert hat und hier im Abspann eine Danksagung spendiert bekommt.
Die letzte halbe Stunde des Films schießt dann leider übers Ziel hinaus: Eine etwa zehnminütige Sequenz, die stockend mit extrem wenigen Bildern pro Sekunde abläuft, stellt die Geduld der Zuschauer stark auf die Probe. Hier verkommt “The Strange Colour Of Your Body's Tears” zwischenzeitlich zur sterilen Kunstinstallation. Davon ab aber ist dies ein Film, den man schon deshalb nicht deutlich genug empfehlen kann, weil er so detailverliebt und mit echter Neugier die extremen Pole filmischer Bildmanipulation auslotet, ohne zu langweilen. Genre-Hommage, psychedelisches Kaleidoskop, kühnes Experiment - “The Strange Colour Of Your Body's Tears” ist kein Film für jedermann und heutzutage gerade deswegen ein so seltenes Exemplar.
>> von Tim Lindemann