Moviebase Baskin
Von den späten 60er bis in die 80er Jahre hinein produzierte die türkische Filmwirtschaft, nicht unähnlich der italienischen, eine unübersichtliche Masse von billigen Genre-Filmen, die meist leicht zu durchschauende Kopien amerikanischer Vorbilder darstellten. "Star Wars", "Superman", "Dracula" – nichts war vor den Exploitation-Fabrikanten vom Bosporus sicher. Während die italienischen Trash-Filme der Periode heute auch hierzulande Kultstatus genießen, sind die türkischen Varianten zumeist vergessen. Seit dem hört man nicht mehr viel vom türkischen Genre-Kino. Bis jetzt. Der junge, in London und Los Angeles geschulte Filmemacher Can Evrenol sorgt mit "Baskin" für eine spektakuläre Rückkehr des türkischen Horrors ins internationale Bewusstsein – dabei scheint sein größtes Vorbild ironischerweise Italiener zu sein.
"Baskin" wirkt nämlich streckenweise wie ein gelungenes Update der psychedelischen Splatterfilme des italienischen Horror-Gurus Lucio Fulci. Evrenol greift viele von Fulcis Lieblingsmotiven auf – bizarrer Okkultismus, apokalyptischer Fatalismus, entgrenzter Sadismus – verleiht seinem Film aber auch von Beginn an einen türkischen Lokalkolorit. Nach einer verstörenden Eröffnungssequenz setzt "Baskin" etwa in einer gemütlichen Köfte-Imbissbude ein, in der die Polizeieinheit des jungen Arda trinkt, derbe Scherze treibt und Wetten abschließt. Die stimmungsvolle Bildkomposition und Farbgebung des Films versetzt uns einerseits augenblicklich in den familiären Kosmos der Polizisten, deutet durch zu grelle Farben und zu tiefes Schwarz aber auch gekonnt bereits visuell die Abgründe an, die den Protagonisten im Laufe der Handlung drohen.
Die Schrecken werfen bald ihren Schatten voraus, als die harten Kerle in Uniform über einen Notfall in einer schon immer als irgendwie unheimlich geltenden Gegend informiert werden. Eine andere Polizeieinheit soll dort in nicht näher spezifizierte Gefahr geraten sein. Mit ungutem Gefühl machen sich die Fünf auf und gelangen an ein verfallenes, aber herrschaftliches Haus, das zu osmanischen Zeiten eine Polizeistube beherbergt haben soll. Wie sich bald herausstellt, hat nun aber eine mörderische Sekte das Gemäuer zu ihrer Kultstätte erwählt und freut sich teuflisch über das Frischfleisch in ihrem Höllenhaus.
Die simple Grundstory bleibt zum Glück nicht die einzige Ebene von Evrenols Film. Durch inszenatorische Tricks, den bedrohlich dröhnenden Soundtrack von Ulas Takkan und eine gebrochene Erzählstruktur konstruiert der Regisseur eine interessante Doppelbödigkeit. Diese dient als Gegengewicht zu den brachialen Splatter-Szenen und der allgemeinen Perversität, die "Baskin" an anderen Stellen entfesselt. Besonders in der wunderbar abstoßenden Figur des Sektenführers "Baba" konzentriert Evrenol alle erdenklichen Abscheulichkeiten. Als besondere Fulci-Hommage mutet der Film seinen Zuschauern etwa eine bluttriefende Augenverstümmelung zu, wie sie der italienische Horrormeister und potentielle Buñuel-Bewunderer ja in beinahe jeden seiner Filme einbaute.
Den gelungenen Spannungsaufbau der ersten Hälfte kann der Film leider nicht ganz aufrecht erhalten. Als die Protagonisten in Babas Folterkeller angekommen sind, verliert sich "Baskin" in allerlei Grausamkeiten, vernachlässigt darüber aber Tempo und Originalität. Der Film wird zusehends zur plumpen Gore-Schleuder. Das reaktionäre Frauenbild hat Evrenol unangenehmerweise auch von seinem Vorbild, dem alten Misogyn Fulci übernommen. Dennoch ist "Baskin" ein interessanter Beitrag zur aktuellen Welle des psychedelischen Genre-Kinos. Eine stärkere Betonung seiner durchaus vorhandenen subtilen Aspekte hätte dem Film sicherlich gut getan. Auch so aber gibt er Anlass zur Hoffnung, auch weiterhin Genre-Filme von abseits der Handvoll üblicher Produktionsländer zu sehen zu bekommen, die bestimmte Horror-Formeln gemäß ihrer eigenen Folklore interpretieren und einfärben.
>> von Tim Lindemann