Die Liste der obskuren Gewalttaten der letzten Jahre und Jahrzehnte ist lang - und geprägt mit uns wohlbekannten Namen. Gein, Manson, Dahmer, Toole - Mörder und Serienkiller gab es viele, doch die ungewöhnlichen Umstände ihrer Verbrechen lassen gewisse "Persönlichkeiten" nie in Vergessenheit geraten. Auch in Deutschland gab es bereits derartige Vorfälle: in den 20er Jahren trieb der "Vampir von Hannover", Fritz Haarmann, sein Unwesen. Er tötete 24 junge Männer indem er ihnen die Kehlen durchbiss und sie anschließend zerstückelte. Es wurde sogar spekuliert, dass er deren Fleisch zu Wurst verarbeitete und in der hauseigenen Metzgerei zum Verkauf anbat.
2001 sorgte ein ähnlicher Fall für Aufsehen, der rund um das Thema Anthropophagie weltweit Schlagzeilen machte. Armin Meiwes wurde über Nacht zum berühmtesten "Mörder" Deutschlands, besser bekannt unter dem schlagkräftigen Titel "Der Kannibale von Rotenburg".
Wie sagt man so schön: "Keine Sekunde der Menschheitsgeschichte, die nicht auf Zelluloid (nun, heute wohl Polyester) gebannt wurde". Da war natürlich auch die Geschichte um den wohl pikantesten Kriminalfall der deutschen Geschichte ein gefundenes Fressen. Butterfly - A Grimm Love Story lautet der Originaltitel der Verfilmung des Stoffes, bei der es sich um eine deutsch-amerikanische Produktion handelt. Der deutsche Titel des Kinofilmes lautet Rohtenburg, ein makaberes, dennoch treffsicheres Wortspiel um die "wahre Begebenheit". Nun könnte man bei einer Verfilmung zwei Wege einschlagen: entweder man lässt sich vom Verbrechen an sich inspirieren und rekonstruiert den Tathergang aufs Genaueste, oder man macht es wie ein Exorzismus der Emily Rose und verlegt das Geschehen in den Gerichtssaal, in dem die Verhandlung des Verbrechers stattfindet (Meiwes' Verfahren wurde im Januar 2006 wieder aufgenommen). Potential zu einem Gerichtsdrama hätte die Story, denn selten stand die Jusitz vor solch einer großen Herausforderung wie der Tat von Meiwes. Regisseur Martin Weisz entschloss sich jedoch für Erstgenanntes, sponn einen reichlich konstruierten Subplot um das Geschehen und verfilmte das Verbrechen auf Hollywood-Art.
Die Studentin Katie Armstrong (Keri Russel) entschließt sich, den Kannibalenfall von Oliver Hartwin (Thomas Kretschmann) und Simon Grombeck (Thomas Huber) als Thema für ihre Abschlussarbeit in Kriminalpsychologie zu untersuchen. Ihre Recherchen führen sie durch das Leben des geplagten Olivers bis hin zum Ort des Verbrechens, seinem Gutshof. In diversen Internetforen sucht sie nach dem Video, mit dem Hartwin den Tod seines Opfers dokumentierte. Scheinbar erfolglos gestalten sich ihre Nachforschungen, doch dann meldet sich ein anonymer Kommiliton, der behauptet, im Besitz des Videos zu sein...
Ganz klar: diese Story hat Potential etwas Großes zu sein. Aber hat man auch wirklich etwas Großes daraus gemacht? Nein. Und ja. Eine Thematik, die Regisseur Martin Weisz hervorragend erfasst, ist die Maxime nach der Oliver Hartwin (resp. Armin Meiwes) handelte: er wolle seine innere Leere mit der Persönlichkeit anderer füllen. Er will, dass jemand ihn voll und ganz kennt. Voll und ganz eins mit ihm wird. Dies erreiche er, indem er ein williges Opfer verspeist. Dies beteuerte Meiwes in diversen Verhören, und diese Gedanken (meist umgewandelt in rhetorische Fragen aus dem Off gestellt) werden dem Zuschauer im Film Rohtenburg präsentiert. Leider verliert der Regisseur diese Thematik im Verlauf der Handlung, da sein Augenmerk notorisch und nahezu kompromisslos auf den unvermeidbaren Höhepunkt des Filmes zusteuert. Dieser zeigt sich in der "Entmannung" Simon Grombecks und der anschließenden Verspeisung seines Geschlechtsteils. Dabei verschwinden die Anfangs so schön konstruierten Subplots spurlos im Dunkeln: dem Zuschauer bleiben die Fragen über Katies Verarbeitung der Geschichte, Grombecks Freund und Hartwins Haushälterin und Quasi-Freundin unbeantwortet. Schade eigentlich, denn gerade diese lieferten dem Film nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern ließen ihn auch Abstand vor der Abstempelung als "Snuff"-Film gewinnen.
Einen großen Teil der Geschichte nehmen Flashbacks in die Kindheit von Simon Grombeck und Oliver Hartwin ein. Diese sind optisch abgegrenzt in Szene gesetzt und driften von Zeit zu Zeit sogar ins Horrorgenre ab. Hier macht sich die bisherige Erfahrung des Regisseurs in Sachen Videoclips bemerkbar, denn zu oft denkt man während des Filmes eher an MTV als an die düsteren Fantasien eines Kannibalen.
Die Schauspieler liefern durchweg einen ordentlichen Job ab, allen voran Thomas Kretschmann, der sich für die Rolle des Oliver Hartwins einer Wandlung zum unscheinbaren Muttersöhnchen unterzog.
Rohtenburg ist gewiss kein schlechter Film, aber um das Zeug zum Kultfilm zu haben fehlt ihm einfach viel zuviel. Die Optik, obwohl nichts Neues, besticht durch ihre professionelle Umsetzung und die Story an sich besitzt genügend Intensität um den Zuschauer während der gesamten Laufzeit in seinen Bann zu ziehen. Unfreiwillige Komik kommt nur teilweise in der Originalfassung des Filmes auf: hier dominiert dann eindeutig der Akzent der überwiegend deutschen Schauspielmannschaft ("Nice Lederhosen!"). Die deutsche Synchronisation wird jedoch von den Originalschauspielern übernommen.
So weit, so gut. Einen Abend darf man dem Film durchaus widmen. Wer sich eher für die dramatische Seite eines solchen Kriminalfalles interessiert, dem sei die Verfilmung der Haarmann-Gespräche ans Herz gelegt: "Der Totmacher" mit Götz George.
>> geschrieben von Dominic Stetschnig