Moviebase Bug
Es gibt Regisseure, deren Können und Erfolg bereits in die Wiege gelegt zu sein scheint. Dass man diese Fähigkeiten trotz Vorhandensein nicht bis zum Erbrechen ausreizen muss, zeigt William Friedkin mit seiner Filmografie sehr eindrucksvoll. Im Gegensatz zu Kollegen wie Tobe Hooper verwirklichte Friedkin deshalb auch ausschließlich Konzepte, die ihm am Herzen liegen. Dies ist auch der Grund, weshalb Bug erst jetzt, 30 Jahre nach dem Meilenstein Der Exorzist, einen erneuten Ausflug Friedkins ins Horror-Metier markiert. Und dennoch schwebt ein großes Fragezeichen über dieser Lionsgate Produktion, die sich keinem Muster fügen möchte.
Was als überspannte Lovestory zwischen einer Diner-Kellnerin und einem Irakkriegs-Veteranen in einem kleinen Motelzimmer in der Pampa von Oklahoma beginnt, schlägt alsbald um in einen an Extremen schwer zu überbietenden Höllenritt, in dem sich die Figuren wie auch ihre Darsteller in emotionaler und schließlich auch körperlicher Selbstzerfleischung ergehen.
Agnes musste in ihrem bisherigen Leben bereits viele Hürden meistern. So verlor sie ihr Kind, musste mit ihrem prügelnden Mann leben, bis dieser letztendlich im Gefägnis landete, und lebt seitdem abgeschieden in einem kleinen Motel irgendwo in der Einöde. Bewusst und intensiv führt Friedkin die Hauptprotagonisten ein. Protagonisten heißt in diesem Fall, dass wir uns auf drei Charaktere beschränken. Doch Agnes ist mit ihrem Leben zufrieden, wären da nicht diese ständigen Anrufe ihres aus der Haft entlassenen Mannes. Bescheiden, völlig abgeschieden und auch ein wenig verwahrlost. So gestaltet sich das Leben, wenn kein Lichtblick den Horizont zu erhellen scheint. Um sich nicht auch noch von dem letzten Stückchen Vergangenheit trennen zu müssen, jobt sie gelegentlich in einer Bar, schlägt Einladungen aus und besinnt sich auf das, was für Verlässlichkeit steht: sich selbst.
Trotz weitläufiger Untiefen beschränkt sich Friedkin auf das Zimmer im Motel. Der Lebensstil spiegelt sich an den bröckelnden Wänden, den Möbeln oder der restlichen Austattung wieder. Die minimalistische Präsenz ist ein Punkt, der Bug vom restlichen Einerlei abhebt, in ein Kammerspiel verwandelt und fortan nicht mehr loslässt. Ist R.C., Agnes beste und einzige Freundin, mit Peter im Schlepptau erst bei ihr eingetroffen, gibt es kein Entrinnen mehr. Die jahrelange Einsamkeit zwingt die kinderlose Mutter dazu, eine Beziehung mit dem Fremden zu beginnen, der ebenso gut ein Axtmörder im Schafspelz sein könnte, wie eingangs treffend erwähnt. Doch Peter verbirgt etwas viel Grausameres unter dem Mantel aus Schüchternheit und Einfältigkeit.
Einst eine toughe Frau, beginnt sich das junge Paar langsam zu wandeln. Trotz paranoider Anwandlungen weist Agnes diesen Mann nicht von sich. Von Liebe und Pech gequält, nimmt sie deshalb jede Form von Zuneigung dankend an. Als Zuschauer steht man der heranschreitenden Verstümmelung machtlos gegenüber, ganz gleich auf welcher Ebene. Dem Kinogänger ist nicht erst jetzt klar, dass es sich bei dem titelgebenden Bug (Käfer) nicht wirklich um die kleinen Krabbelbiester handelt. Eine ausgewachsene Störung, die Agnes durch Zustimmung in unkontrollierbare Regionen lenkt. Die Gedanken rotieren ohne Unterlass. Was und wen hat sie sich in ihr Apartment geholt? Bug zaubert die Verhältnisse der unteren Gesellschaftsschichten kritisch und brisant auf die Leinwand. Brisant deshalb, weil das behandelte Thema allgegenwärtig erscheint. Massenhysterie, Einsamkeit und ein Leben am Existenzminimum. Es erscheint nur verständlich, sich an den letzten verfügbaren Strohhalm zu erklammern.
Doch was ist Wirklichkeit und was Fiktion? Selbstzerstörung in ihrer reinsten Form, die Friedkin uns hier präsentiert. Ist das Netz aus vermeintlicher Liebe gewoben, verfängt sich eine grandios spielende Ashley Judd in immer neuen Geschichten, die Agnes vom Schicksal Peters überzeugen sollen. Heimliche Verschwörungen, Verfolgungswahn und Abhängigkeit rücken in das Blickfeld des Möglichen, während diese Maschinerie unsere beiden Hauptdarsteller in immer neue Abgründe driften lässt. Die Kamera fängt das Spiel so schonungslos in allen Facetten ein, dass man schreien möchte. Völlig machtlos sehen wir zu, wie sich zwei Menschen in ein Geflecht aus Lügen, Paranoia und Liebe stürzen, die möglichen Folgen noch nicht vor Augen. Doch der Sensenmann schwebt bereits über den Köpfen.
Bug ist derart wirkungsvoll, dass der Betrachter die Käfer am eigenen Leib zu spüren scheint. Unter dem Deckmantel eines Horrorfilms verbirgt Friedkin jedoch eine viel weitreichendere Intention. In Wahrheit wird die schlichte Geschichte zweier Liebender erzählt, die mit ihrer Kraft am letzten Fünkchen Leben zehren und keinen anderen Ausweg sehen, als der trostlosen Realität zu entfliehen und in einem eigenen Universum aus Perfektion aufzugehen. So, wie es Menschen auch in der Wirklichkeit tun. Die vereinzelten Greueltaten versinnbildlichen die Gefühle in einer dienlich extremen, jedoch nicht ausufernden Form. Kino in Perfektion.
>> verfasst von Torsten Schrader