Moviebase Abandoned, The - Die Verlassenen
Und hier nun ein Film für die Freunde knarzender Dielen und quietschender Türen: Eine spanisch/britisch/bulgarische Co-Produktion über eine Amerikanerin, welche nach ihren familiären Wurzeln in Russland forscht, und dabei das Gruseln lernt...
Schön international kommt Nacho Cerdàs (AFTERMATH) unheimliches Werk daher und bezieht seinen Reiz gerade aus dem Zusammenprall der verschiedenen Kulturen. Mit dem Eintreffen der schroffen Filmproduzentin Marie (die Engländerin (!) Anastasia Hille) in ihrem Geburtsland, wird der Zuschauer von einer Atmosphäre des Fremdartigen umfangen. Wie schon bei STUMME ZEUGIN ist es auch bei THE ABANDONED eine weise Entscheidung gewesen, das Russisch der Einwohner nicht zu untertiteln oder gar zu synchronisieren- dadurch tappt der Betrachter ebenso im Dunkeln wie die zunehmend verwirrte Hauptdarstellerin. Schon die Szenen im „normalen“ Russland strahlen eine gewisse Bedrohung aus, was dann bei der Ankunft auf dem verfallenen Bauernhof der Eltern zu voller, dunkler Blüte erstrahlt! Hier entwickelt sich der Film zu einer Art SOLARIS des Horrorgenres und die Scope Kamera fängt liebevoll die fast greifbare Atmosphäre der schimmeligen Flure und dunklen Ecken des Anwesens ein. Und als wenn eine Nacht in einem solch gammeligen Kasten nicht schon schlimm genug wäre, gibt es da noch diese seltsamen Erscheinungen: Ein toter Doppelgänger Maries erscheint, und ein (realer) Mann (Karel Roden) behauptet, ihr Zwillingsbruder zu sein. Die brutale Vergangenheit drängt immer mehr in die Gegenwart und der Film wabert förmlich seinem zähneknirschenden Finale entgegen.
Dunkle Flure, finstere, unter Wasser stehende Kellerräume, Erscheinungen. THE ABANDONED betritt natürlich kein Neuland, stellt aber einen gelungenen Remix dar. Mein persönlicher Favorit unter den Spukhausfilmen ist ja immer noch Robert Wise’ BIS DAS BLUT GEFRIERT (später zu schlechten Remake Ehren gelangt als Jan de Bonts DAS GEISTERSCHLOSS). Kaum ein Film hat es seither geschafft, die Bedrohung durch eine übernatürliche Präsenz so spannend und mit solch einem gewaltigen Gespür für Timing und Atmosphäre darzustellen. Allein der Moment, in dem die zwei Frauen des Teams in ihrem Zimmer festsitzen, während sich draußen an der Tür etwas zu schaffen macht und unheimliche, schleifende Geräusche von sich gibt...das krempelt mir noch heute die Fußnägel hoch!
„Hast du die Tür abgeschlossen?“
„Ich...ich glaube nicht!“
Und dann bewegt sich der Türknauf- herrlich!
THE ABANDONED kommt zwar nicht so ganz an die Raffinessen dieses Klassikers heran (dazu ist er storytechnisch dann doch etwas zu simpel gestrickt), kann aber dennoch mit schön gruseliger Atmosphäre und einigen richtig unheimlichen Momenten aufwarten:
Besonders die Auftritte der toten Doppelgänger haben mir einige Schauer über den Rücken gejagt- diese Wiedergänger lösen sich verstörenderweise nicht in Luft auf, wenn sie mit der Taschenlampe angestrahlt werden und lassen mit ihren toten Augen und angeranzten Visagen des öfteren eine schöne Italohorroratmosphäre aufkommen! THE ABANDONED weiß von daher eher durch Stimmung und Ausstattung zu überzeugen, als durch Logik oder gewiefte Plot Twists. Denn die Story vom alten Gemäuer, welches die Grauen der Vergangenheit konserviert hält, ist so alt wie das Kino selbst und auch der Schlussgag lässt sich schon weit im voraus erahnen, wurde dafür aber recht clever gelöst. Und die Tatsache, dass die unheimlichen Ereignisse nicht nur auf den Hof beschränkt sind, sondern eher auf die ganze Insel, gibt dem Film eine zusätzliche Dimension- wie in Tarkovskis STALKER bewegt man sich in einer Welt, die wie unsere aussieht, aber dennoch anderen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist. ..
Für Splatterfans dürfte THE ABANDONED dann auch viel zu „trocken“ daher kommen, auch wenn es durchaus Momente kurzen Aderlasses zu bestaunen gibt. Freunde von Geisterhausdramen wie RENDEZ-VOUS ZUM FRÖHLICHEN TOD, TANZ DER TOTENKÖPFE oder THE OTHERS werden hingegen ihre wahre Freude an dem Film haben. Regisseur Cerdàs treibt die Ereignisse flott voran und die erlesene, schön düstere Kameraarbeit von Xavi Giménez (DER MASCHINIST; DARKNESS) spielt gekonnt mit Licht und Schatten, während das detaillierte Sound Design Leben in das Gemäuer bringt, ohne zu sehr auf „Buh!“ Effekte zurückzugreifen.
Ein „Ambient“ Film, der den einen vielleicht langweilen, den anderen aber wohlig schaudern lassen wird!
>> verfasst von Marc Ewert