Moviebase Videodrome
Imitation oder Manipulation – was verwirklicht der Mensch in seinem von medialer Omnipräsenz gesteuerten Dasein? Hilft es überhaupt noch, sich kritisch mit Medien auseinander zu setzen, ist der humane Geist schon längst verseucht, infiziert mit der Überbestrahlung an Information und Geschichten? Heuchlerische Paradieszustände, die einem vorgegaukelt werden, lassen die willenlose Konsumgesellschaft in wohltuender Illusion zum meinungslosen Teil der Masse werden – das Individuum wird unterjocht. Drastische Aussagen eines Zustandes, der längst nicht Fiktion ist, tatsächlich begibt sich doch eine breite Masse in die Obhut der Medien, sei es Fernsehen, Video- oder DVD-Programme; muss hier aber kein Strich gezogen werden? Muss der Spieß nicht umgedreht werden, so dass sich mit lang ausgestrecktem Zeigefinger die Medienwelt das Publikum, den Menschen selbst zum Sündenbock macht und ihn lediglich mit seiner eigenen Verkommenheit und emotionaler Abstumpfung konfrontiert? Fragestellungen an denen sich die Geister scheiden, und somit ist es nicht verwunderlich, wenn sich das Dämonisierte selbst zum Dreh- und Angelpunkt einer cinematographischen Verarbeitung dieser Aspekte macht.
Was wäre das Genrekino nur ohne den kanadischen Hobbybiologen David Cronenberg, der sich mit diesem Film mehr als jemals sonst mit dem Menschen auseinander setzte und eine hochintelligente Geschichte präsentiert, deren Realitätsbezug direkter und kritischer nicht hätte sein können. „Videodrome“, so prangert der orangerötliche Schriftzug auf dem schwarzen Hintergrundbild, welches von vereinzelten Verzerrungen zu einem bedrohlichen Entrée in die Welt des Max Renn gewährt. Max Renn, Präsident eines relativ kleinen Fernsehkanals, der mit einem ausgewählten Bombardement an Sex- und Gewaltfilmen dem Nischenpublikum eine Plattform bietet. Die Suche nach der totalen Befriedigung seines Zielpublikums soll nicht erfolglos bleiben. Als er einem sexuell-perversem Brutalo-Programmformat mit in seinen Augen absolutem Referenzcharakter auf die Spur kommt, verstrickt er sich jedoch schnell in tiefere Geschehnisse und wird bald Objekt einer kompromisslosen Verschwörung, durch die sich Max in einem Schwebezustand zwischen Realität und Fiktion gefangen sieht.
Cronenberg schuf mit „Videodrome“ einen derart intensiven Film, dass unmöglich an seiner Klasse als Regisseur gezweifelt werden kann. Zu gut und zu treffend wirken beabsichtigte Effekte und Denkanstöße, welche den Film zu mehr machen als nur flimmernden Bildern. Es ist eine über die 85 Minuten genau platzierte und temporal perfekt bemessene Auseinandersetzung mit der manipulativen Eigenheit der Medien, ihrer Zelebrierung und der Rolle des Menschen in dieser konfrontativen Konstellation. Was an dieser Stelle gelobt werden soll ist jedoch nicht die Schuldzuweisung zu einer Partei, sondern dass in einer negativen Symbiose stehende Verhältnis zwischen Medium und Mensch. Wer ist die Plattform, wer der Konsument? Der Ursprung von perverser Versorgung durch die Medien wird hier nämlich durch psychologische Weise auf den Menschen und seine eigene Gier nach Erregung zurückgeführt. Die abartige Erfüllung verkümmerter Emotionen durch das mediale Konsumprodukt erfährt in „Videodrome“ eine geniale Interpretation, welche ungeschont den Zuschauer mit seiner eigenen Gier nach Befriedigung und dem Drang zum Voyeurismus konfrontiert. Wie Max Renn in der fiktiven Welt wird der Betrachter selbst zum Kritikobjekt, welches in einer ständigen Selbstreflexion zum Denken angeregt wird und das Filmerlebnis, die Geschichte Renns zum persönlichen Horrortrip in die Tiefen der Seele mutieren lassen.
Unfassbar, wie es Cronenberg immer wieder gelingt, psychoanalytische Aspekte und sozio-ökonomische Faktoren in einen Horrorfilm zu packen. Sein offensichtlich großes Talent in der filmischen Verarbeitung aktueller Themen präsentiert sich in diesem Film in nahezu perfekter Vollendung. Eine wahre Wohltat für das Genrekino, da hiermit der Beweis erbracht wurde, welchen Anspruch ein solcher Spartenfilm doch haben kann. Da soll sich keiner an den wohl bemerkt rar gesäten Splattereffekten aufhängen, die sich wunderbar in das traumähnliche Setting aus Fiktion und Realität einreihen.
Die Interpretationsanstöße kristallisieren sich deutlich heraus, werden aber keinesfalls zur penetranten Botschaft, sondern verleihen dem interessanten Storyplot die nötige Tiefe und machen ihn dadurch zu mehr als einem normalen Horrorfilm – es ist der Höhepunkt in dem wundersamen Spiegelkabinett aus intelligenten Horrorfilmen des David Cronenberg.
„Videodrome“, ein Fernsehprogramm dass sich mit brutalen Snufffilmchen und expliziter Sexualität zum erwünschten Partner des Publikums macht. Die Suche nach Perversion und der Erfüllung elementarer Gelüste soll mit dem Programm ein Ende nehmen – doch setzt Cronenberg an dieser Stelle ein und bewirkt mit einem Geniestreich der Inszenierung einen Effekt, der absolut bedeutend für den Film ist. Immerhin hat man es bei Cronenbergfilmen mit einer Genremischung aus Horror und Science-Fiction zu tun, dessen Charakteristika mit größter Bedachtheit eingesetzt wurden. So wirkt der Film natürlich objektiv-distanziert betrachtet massiv phantastisch beeinflusst und ohne nötigen Realitätsbezug in seiner eigenen Welt spielend. Dadurch punktet aber Cronenbergs „Videodrome“ massiv, da jede phantastische Realitätsverzerrung und der Einsatz von Spezialeffekten auch bildhaft zu lesen ist – so gelangt man durch Symbolismen und Metaphern zu einer stark kritischen Abbildung einer von Medien dominierten Gesellschaft, die jedoch unter Umständen dem Falschen den Miesepeter zu schiebt. So fällt die Fragwürdigkeit dann eben doch nicht auf die Medien zurück, sondern auf die höchst menschlichen Strukturen hinter diesen Formaten, deren geschickter Umgang mit Information und Bildern das Publikum blenden und täuschen.
Eine mehr als stimmige Einheit bilden der wunderbare Soundtrack von Howard Shore, dem optischen Feingefühl Cronenbergs und der genialen Schnittpositionierung, die sich über die gesamte Lauflänge erstreckt. James Woods als Max Renn spielt mit großer Glaubwürdigkeit, weshalb die Hauptrolle ihm wie auf den Leib geschneidert scheint. Somit ist „Videodrome“ also ein Film, der einerseits dem Medium Film/Fernsehen kritisch gegenübersteht, aber andererseits den nach Perversion lüsternden Menschen und den seelischen Drang zur Erfüllung dieser beleuchtet. Durch dieses Wechselspiel ohne eine eindeutige Lösung für dieses Verhältnis, bekommt man durch die Platzierung dieser Interpretationen in einen Horrorstreifens einen filmischen Hochgenuss, der zwar weder einfach zu verfolgen und zu kapieren, noch angenehm zu verdauen ist. Cronenberg schuf hiermit einen Film, wie er sein sollte: Aufrüttelnd, provokant und seiner Zeit weit voraus – ein intelligentes Meisterwerk des abseitigen Kinos, das selbst jetzt nach 24 Jahren nichts an seiner Aktualität verloren hat. Um ein Zitat aus dem Film selbst zu verwenden: „Öffnen sie sich mir, (Max)... – öffnen sie sich „Videodrome“!
>> geschrieben von Benjamin Johann