Moviebase Slither - Voll auf den Schleim gegangen
Man kennt das ja alles nun wirklich zur Genüge: eine verschlafene amerikanische Kleinstadt wird von einer unheimlichen außerirdischen Lebensform heimgesucht, von diesem Zeipunkt an geht es - vorsichtig ausgedrückt - mit dem allgemeinen Wohlbefinden rapide bergab. Viel mehr muss über die Handlung von Slither, die sich klar am klassischen Horrorfilmschema orientiert - „in the beginning, things are okay. Then something unusual turns up - a monster of some sort - and everything is a mess. But someone figures out how to solve the problem." (Welch Everman. Cult Horror Films, 3) - nicht gesagt werden. Man weiß, wohin die Reise gehen wird.
In den Händen von Regisseur und Drehbuchautor James Gunn, der sein Handwerk in den legendären Troma Studios (unter anderem als Drehbuchautor solcher, nun ja, Kultklassiker wie Lloyd Kaufmans Tromeo und Juliet) erlernen durfte und sich über Genregrenzen hinaus als Autor des Dawn of the Dead Remakes von Zak Snyder einen Namen gemacht hat, wird aus einer durch und durch stereotypen Prämisse eine äußerst vergnügliche, angemessen handgemachte, wunderbar trashige, große (das Budget) kleine (die Independentphilosophie) Gross Out Splatter Science Fiction Komödie, die nach kurzem Auftakt absolut geradlinig und ohne Kompromisse in einer apokalyptischen Vision aus grotesken Zombies, einem der absurdesten Tentakelmonster der Filmgeschichte (ein gigantischer, als orgasmische Gebärmaschine konzipierter Hybride aus Mensch und Alien, wer sich das vorstellen kann) und Amok laufenden Körpersäften kulminiert. So viel darf zumindest verraten werden, ohne einem geneigten Publikum den Spaß zu verderben.
Der Film, dessen Titel sich in etwa mit „kontrolliert kriechen" übersetzen lässt (und die bevorzugte Fortbewegungsweise der oben genannten außerirdischen Bedrohung beschreibt), befindet sich dabei in der Tradition der herrlich schrundigen, vor Schleim, Eiter und Blut triefenden B-Filme der 70er, 80er und frühen 90er. In mehreren Sequenzen verneigt er sich tief vor den üblichen Verdächtigen wie Peter Jackson und dessen hemmungsloser Freude am Suhlen in Eingeweiden in Brain Dead oder der außerirdischen Bedrohung in Bad Taste, John Carpenter und seinen grotesk-genialen Monstermutationen aus The Thing (allerdings ohne dessen Paranoia und gesellschaftskritische Relevanz zu erreichen), Sam Raimi und dessen schwarzem Humor und entfesselten Kamerafahrten durch den nächtlichen Hinterwald (die scheinbar seit Evil Dead zum guten Ton im amerikanischen Provinzhorror gehören) und, immer wieder, David Cronenberg, dessen Neigung zu sexueller Metaphorik und biomechanischen Tableaus - natürlich ohne dessen chirurgisch-analytischer Ernsthaftigkeit und Fingerspitzengefühl für Entfremdung, Existentialismus und Paranoia - zu den Hauptinspirationen von Slither gezählt werden müssen. Die offensichtlichsten Referenzpunkte in Cronenbergs Werk sind dabei Rabid, The Fly und Shivers (sehr hübsch zum Beispiel die dem letztgenannten Film nachempfundenen, wurmähnlichen Parasiten oder die Verwandlung in sexhungrige, willenlose Monstren).
Andere Regisseure, vor denen Gunn in seinem offiziellen Regiedebüt seinen Hut zieht, sind wohl vor allem Brian Yuzna (From Beyond) Stuart Gordon (Re-Animator) oder Frank Henenlotter (Basket Case), mit denen Slither am ehesten den freiwilligen Trash-Faktor gemeinsam hat. In Abschnitten werden aber auch Erinnerungen an schwarzhumorige Ungezieferhorrorkomödien wie Eight Legged Freaks (Ellory Alkayem) oder Arachnophobia (Frank Marshall), Science Fiction Horror der Marke Alien (Ridley Scott) oder die eher für ein Mainstreampublikum produzierten Blockbuster Evolution (Ivan Reitman) oder Stephen Kings Dreamcatcher (Lawrence Kasdan) geweckt. Wer nun ein Faible hat für die groben Pinselstriche des Genres „Kultfilm" und dessen liebevoll-künstlichen Studio Set Designs, absurden Plotwendungen und dessen Vorliebe für exzessive, aber cartoonhafter Gewalt nicht abgeneigt ist, dazu am Oeuvre von einem der oben genannten Filmemacher Gefallen findet und außerdem seine Freude hat an Seitenhieben auf (gesellschafts)politische Ignoranz, dem sei dieser so erfrischend politisch unkorrekte Film wärmstens ans Herz gelegt. Slither geizt wahrlich nicht mit kleinen, aber gemeinen, mal mehr mal weniger subtilen Spitzen gegen religiösen Fundamentalismus, antievolutioniäre Strömungen, Waffenfetische, Kleinstädterignoranz, latente Massenpanik, (amerikanische) Angst vor Bioterror und die allgemeine Kluft zwischen liberalen und konservativen Kräften/Werten.
Aber wie immer, wenn im Horror spielerisch umgegangen wird mit tagespolitisch relevanten Themen, gilt die Regel: Wer solche Anspielungen aus den Kon- und Subtexten herauslesen will, sollte es tun. Erstens kann es nicht schaden. Zweitens erhöht es den Unterhaltungs- und Erkenntnisfaktor ungemein. Wer an einer derartigen Lesart allerdings kein Interesse hat, sich vor allem des Spaßes an abgefahrenen Monstern und Mutationen wegen ins Kino verirrt, kommt natürlich in Slither trotzdem voll und ganz auf seine Kosten. Nichtsdestotrotz, auch wenn Regisseur James Gunn in einem Interview mit dem kanadischen Horrormagazin Rue Morgue (Issue 55 p 34) anmerkt, die Prämisse seines Films sei grundsätzlich „this disease that’s basically fucking people to death" (was dem Film eine weitere spannende Bedeutungsebene als Reflexion über die Gefahr sexuell übertragbarer Krankheiten verleiht) und man aus diesem Grund eine gut geölte, visuell explizite Sex and Gore Maschine erwarten könnte, bleibt die tatsächliche sexuelle Komponente von Invasion und Infektion über weite Strecken im Hintergrund, wird off-screen abgewickelt.
Es ist dabei ein mehr als nur nebensächliches Detail, dass der Film offene Sympathie für seine zumindest grundsätzlich als Karikaturen markierten Figuren zeigt. In mancher Szene wird den Charakteren mehr Tiefe verliehen als man es von Schablonen und Stereotypen (der rechtschaffene Polizist, der treue Sidekick, die unglücklich verheiratete Lehrerin, der neunmalkluge Teenager, die waffenschwingenden Hinterwäldler, der sexuell frustrierte Ehemann, etc) erwarten würde. Durch geschickt gewählte Beziehungsgeflechte, die lange unterdrückte Persönlichkeitskrisen und Sehnsüchte ans Tageslicht bringen, gelingt Gunn das Kunststück, eine Reduktion seiner Figuren auf rein triebgesteuerte Entitäten zu verhindern, obwohl sie - und genau darin liegt die Perfidie dieses Films - im Laufe der Handlung durch die außerirdische Invasion bedingt genau dazu degenerieren. Ein wesentliches Verdienst des Films liegt darin, dass man als Zuschauer diese zuerst schleichende, dann rasende Zombifizierung tatsächlich zu bedauern beginnt. Und genau in dieser Hinsicht hebt sich Slither trotz des erheblichen Gorefaktors erfreulich weit ab von anderen Filmen der momentanen Gross Out Horror Welle, von Hostel (den ich ansonsten sehr schätze) bis hin zu 2001 Maniacs, deren allzu eindeutige Sexualisierung oft nicht über eine rein voyeuristisch motivierte Sinnesbefriedigung hinausreichen will. Eine derartige Limitierung hat zur Folge, dass man weder Mitgefühl noch Interesse für die Figuren aufbringen kann, was durch fehlende Identifikationsmöglichkeit die erwähnten Filme zu emotional hohlen Erlebnissen macht.
Fazit:
Obwohl letztendlich klar ist, dass Gunn kein Ingmar Bergman ist, auch kein Roman Polanski, und Slither beileibe nicht anstrebt, seine Charaktere tatsächlich auf ihre Untiefen hin auszuloten, wird nichtsdestotrotz erfolgreich der Versuch unternommen, durch klar konturierte Charakterzüge, eine äußerst stimmige Besetzung (allen voran Elizabeth Banks, Nathan Fillion, Michael Rooker und Jack MacReady in einer köstlichen Rolle als an verbaler Diarrhö leidender Bürgermeister) und liebevoll-stimmiges Südstaatenkleinstädterlokalkolorit den Charakteren ein für diese Art von Film unerlässliches Quäntchen Tiefe zu verleihen. Und viel mehr - Humor und Ironie, Spannung, nicht auf sadistisches Vergnügen sondern auf knallbunten Cartoongehalt hin inszenierte Gewalt, halbwegs lebendige Charaktere - sollte und kann man sich von einem Film dieses Titels und Kalibers, der sich selbst nie sonderlich ernst nimmt, auch nicht erwarten. Es steht allerdings zu befürchten, dass in einer Übertragung ins Deutsche und allzu plumpe Germanismen vor allem Lokalkolorit und Wortwitz gehörig Federn lassen werden. Dies birgt die Gefahr in sich, dass der Film von seiner jetzigen Form zu einer reinen Slapstickhorrornummernrevue verkommt. Soll ja schon vorgekommen sein. Horror-Slapstick vom Feinsten!
>> geschrieben von Jürgen Schacherl