Moviebase Jack Ketchum's Evil
Jack Ketchum? The Girl Next Door? Zwei Dinge, die auf den ersten Blick in einem krassen Gegensatz zueinander stehen. Wer bei diesem Filmtitel zu allererst an die spritzig unkonventionelle Komödie mit Elisha Cuthbert und Emile Hirsch denkt, sollte, sofern THE GIRL NEXT DOOR von Gregorry Wilson in nächster Zeit in Deutschland erscheint, keinen Fehlgriff wagen, wenn Comedy statt Terror gefragt ist. Wilson schildert uns die Hölle auf Erden, inszeniert nach einer Buchvorlage von Jack Ketchum. Dieser ist in seinem Heimatland als sperriger und undurchschaubarer Buchautor verschrien, weshalb ihm ein weltweiter Erfolg bisher weitestgehend verwehrt blieb. Stephen King griff ihm bei dem Roman "Evil" (deutscher Titel) mit einem ausführlichen Vorwort unter die Arme, was auch notorische Fremdleser zum Kauf überreden sollte. Fragwürdig, weshalb Heyne das Werk erst im Jahr 2006 veröffentlichte, obwohl die Entstehung bereits siebzehn Jahre zurückliegt.
In einer ungenannten amerikanischen Kleinstadt könnte der Sommer so wundervoll sein. Die Kinder tollen mit Kameraden im Wald, spielen am Fluss und genießen die freien Ferientage. Für David ist es ein Sommer wie jeder andere, wenn der laue Wind die Blätter rascheln lässt, kindliche Spiele verfolgt werden und pünktlich das Abendbrot auf dem Tisch steht. Alles soll sich ändern, als Meg und Susan nach dem Tod der Eltern bei einem Autounfall geschädigt und labil zur Tante in Davids Nachbarhaus ziehen. Könnte dies die große Liebe werden? David und Meg finden schnell gefallen aneinander. Tante Ruth hält gar nichts von den beiden Neuankömmlingen und fühlt sich von jeder Tat, die Meg und Susan vollbringen, belästigt. Sie quält Meg vor den Augen ihrer Freunde, bis das letzte Fünkchen Willen gebrochen ist. Ein Albtraum beginnt...
Um der Buchvorlage nicht nur eine filmische Umsetzung zu spendieren, machte sich neben Gregory Wilson auch Tommy O'Haver an die Umsetzung des Stoffes. Das Ergebnis in Form von An American Crime lief bereits auf dem Fantasy Filmfest 2007. Während An American Crime mit der juristischen Seite der schrecklichen Vorfälle spielt - Ähnlichkeiten zu The Exorcism of Emily Rose -, zeigt THE GIRL NEXT DOOR das volle Ausmaß menschlicher Abartigkeit. Wilson gelingt es, die saugende Wirkung der Buchvorlage auf die Leinwand zu verfrachten, was nicht zuletzt der grandiosen Leistung der spielenden Darsteller zu verdanken ist. Noch völlig unbefleckt begegnen sich David und Meg zum ersten Mal am Flussufer, wo es zur Aufgabe gemacht wird, Flusskrebse auf die geschickteste Weise einzufangen. Kindliche Unbeschwertheit, die alles Böse auf der Welt verstummen lässt und das bezauberndste auf Erden an die Oberfläche befördert: die Liebe.
Ruth hingegen ist ein vom Leben gezeichneter Charakter. Sie verlor ihren Mann, als sich dieser mit der holden Weiblichkeit vergnügte. So lebt sie nun, mit ihren beiden Söhnen, in einem großen Haus in dieser spießbürgerlichen Kleinstadt. Es ist eine Schande, als allein erziehende Mutter in dieser Zeit leben zu müssen. Das Bild eines perfekten und idyllischen Lebens existiert nicht, so will sie es auch ihren minderjährigen Anhängern einbläuen, die sich Tag täglich im Haus einfinden, um Meg zu begutachten. Als Ventil und Anschauungsobjekt bieten die Schwestern einen willkommenen und wehrlosen Leitfaden. Wilson lässt uns mit schonungslosem Blick an diesen Vorgängen teilhaben. In voyeuristischer Weise ist der Zuschauer dazu genötigt, die Handlungen teilnahmslos zu dulden. Ein Punkt der Härte, der Buch wie Film auferliegt.
Meg erfährt die Leiden Christi in unverfälschter Art und Weise. An beiden Handgelenken gefesselt, stellt Wilson das hilflose Opfer als Buße tuendes Anschauungsobjekt am Kreuz dar. Jemand soll für die Lügen und Ängste, die Ruth auf Meg projeziert, bestraft werden. Das unschuldige Wesen versinnbildlicht das personifizierte Böse im Körper eines kleinen Mädchens. Wissbegierig stehen die gaffenden Zuschauer vor ihr, das Martyrium miterlebend. Ruth, leitendes Glied und als erwachsener Mitbürger beispielgebendes Vorbild, segnet jede Gräueltat, die die Kinder für sie vollbringen. Es sind die menschlichen Untiefen dieser Person, die junge Menschen ihrer Unbeschwertheit beraubt. Vielleicht traf Ketchum deshalb auf derartige Gegenwehr von seitens amerikanischer Kritiker. Doch wieso soll ein in diese Richtung geartetes Werk eine Zensur erfahren? Diese Dinge geschehen, denn auch The Girl Next Door beruht auf einer wahren Begebenheit.
Das teuer und pompös nicht gleichbedeutend für einen guten Film stehen, durften wir in der Vergangenheit bereits zur Genüge miterleben. Für Produktionsfirma wie Regisseur ist ein Dank in diesem Fall gewiss. Trotz begrenzter Mittel geizt THE GIRL NEXT DOOR weder mit optischen noch darstellerischen Reizen. Ein perfekt aufeinander abgestimmtes Ensemble stemmt das sperrige und tabureiche Thema mit Bravour. Selten lässt sich ein Drama authentischer auf der Leinwand nieder wie in diesem Fall geschehen. Gregory Wilson wird mit diesem Film für Aufruhr und Unwohlsein sorgen, soviel ist gewiss. Sollte das Thema nach der Sichtung zum Nachdenken anregen, ist das Ziel erreicht: Ein unangenehmes und cleveres Meisterstück!
>> verfasst von Torsten Schrader