Moviebase Mother of Tears: The Third Mother
Mit den ersten beiden Mütter-Filmen hat Dario Argento („Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“, „Profondo Rosso“), Italiens Horror-Regisseur Nr. 1, Kinogeschichte geschrieben. „Suspiria“ (1976), in dem eine amerikanische Nachwuchstänzerin in einer Freiburger Ballettschule gegen einen geheimnisvollen Hexenzirkel antritt, gehört bis heute zu den atmosphärisch eindrucksvollsten Horrorfilmen überhaupt. Und mit „Inferno“ (in Deutschland auch: „Horror Infernal“), in dem die zweite Mütter-Hexe in New York ihr Unwesen treibt, legte Argento drei Jahre später ein würdiges Sequel nach. Schon damals war klar, dass die düstere Hexensaga eigentlich als dreiteilige Serie angelegt ist. Immerhin findet die dritte Mutter, Madre Lacrimarum, auch in den beiden ersten Filmen schon mehrfach Erwähnung. Nun, mit fast dreißigjähriger Verspätung, ist der Abschluss doch noch gelungen: Argento hat gegen alle Widerstände endlich die Finanzierung auf die Beine gestellt und mit „Mother of Tears“ seine Mütter-Trilogie vollendet.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die über die verstrichenen Dekaden in Fankreisen immer weiter angestiegenen Erwartungen sind illusorisch und werden dementsprechend auch nicht erfüllt. Aber zumindest hat Argento nach den belanglosen „Masters of Horror“-Beiträgen „Jenifer“ und „Pelts“ sowie dem eher schwachen Giallo „The Card Player“ seinem Spätwerk nun doch noch einen wirklich sehenswerten Beitrag hinzugefügt. Auch wenn er sich vom fantastisch-mythischen Grundton der Vorgänger ein wenig entfernt und stattdessen verstärkt auf handfeste Splattereinlagen pocht, kann Argento in Sachen Atmosphäre so leicht niemand etwas vormachen. Und so sollte sich der Großteil heutiger Genreproduktionen, zumindest was die bedrohlich-bedrückende Stimmung angeht, von „Mother of Tears“ trotz dessen Schwächen ruhig mal eine Scheibe abschneiden.
Nach Freiburg und New York trifft es diesmal Rom: Nachdem eine mit geheimnisvollen Symbolen verzierte Urne zufällig auf einem Friedhof entdeckt und von der Museumsangestellten Sarah (Darios Tochter Asia Argento, „Land of the Dead“, „Boarding Gate“) voller Elan geöffnet wurde, bricht in der Ewigen Stadt die Hölle auf Erden los. Überall kommt es zu Gewaltausbrüchen: Schlägereien, Morden und Vergewaltigungen – wohin man auch schaut, überall reißt das Chaos die Herrschaft an sich. Eine Mutter schmeißt gar ihr Baby von einer Brücke. Mit Hilfe einer magischen Tunika, die sich in der Urne befand, ist die schwarze Hexe Madre Lacrimarum wieder zu Macht gekommen. Roms einzige Hoffnung ist Sarah, deren Eltern einst beim Kampf gegen Madre Suspiriorum in Freiburg ums Leben kamen. Doch der Hexenzirkel wird von Stunde zu Stunde mächtiger und Sarah ist sich ihrer eigenen Kräfte noch immer nicht vollständig bewusst…
Der sakral-rockige Score von Claudio Simonetti jagt einem bereits in der ersten Sekunde einen ordentlichen Schauer über den Rücken. Doch gerade wenn sich der Zuschauer in der fiesen Atmosphäre der Anfangsminuten wohlig eingenistet hat, macht Argento mehr als deutlich, dass sich seine Prioritäten in den letzten 30 Jahren doch ein Stück weit verschoben haben: Nach knapp neun Minuten haut er seinem Publikum nämlich die erste saftige Splattereinlage vor den Latz. Eine Kollegin von Sarah wird, nachdem die Urne geöffnet wurde, von einer Horde undefinierbarer Kreaturen massakriert. Zunächst werden mit einem Schraubstock der Schlund geweitet und die Zähne entfernt, anschließend wird der Bauch aufgeschlitzt und die glitschigen Gedärme plumpsen auf den Boden.
Zunächst wirkt dieses explizit zur Schau gestellte Gemetzel wie ein Fremdkörper, der die Atmosphäre zu zerstören droht. Doch im Verlauf der Handlung wird immer klarer, dass Argento mit seinem inszenatorischen Geschick durchaus dazu in der Lage ist, Atmosphäre und Splatter friedlich nebeneinander koexistieren zu lassen. Dabei treibt er den Gorefaktor immer weiter auf die Spitze. Neben den typischen Einlagen wie ausgestochenen Augen, zermatschten Schädeln und durchschnittenen Kehlen wird unter anderem ein Frauenkörper von der Vagina bis zum Mund mit einem Speer durchstoßen. Und die finale Blut-und-Titten-Orgie ruft sogar leise Erinnerungen an Brian Yuznas Splatter-Satire „Society“ wach. Im Gegensatz zu Folterpornos á la „Hostel II“, deren selbstzweckhaften Gewaltnummern jeden Anflug von Stimmung im Keim ersticken, beweist Argento nun, dass sich Gore und Atmosphäre durchaus unter einen Hut bringen lassen.
Der stärkste Moment des Films ist die subtile Art, mit der das langsam aufkeimende Chaos integriert wird. Während Sarah durch Rom hetzt, um ihrer Bestimmung zu folgen, finden im Hintergrund immer mehr Ereignisse statt, die auf die drohende Apokalypse hindeuten. Zunächst sind es nur vergleichsweise harmlose Schlägereien und Krawalle, einige parkende Autor werden zertrümmert. Dann läuft plötzlich ein Mann mit gezogener Waffe durchs Bild. Später liegen vereinzelt Leichen auf den Bürgersteigen und ein Polizist wird kaltblütig erschossen. Diese Beiläufigkeit, mit der Roms stetiger Zerfall beschrieben wird, macht einen beträchtlichen Teil des Reizes von „Mother of Tears“ aus. Sowieso sind es die kleinen atmosphärischen Dinge, die dem Film eine besondere Note verleihen. So etwa auch die modernisierten Hexenjünger, die wie eine Gothik-Ausgabe der „Sex and the City“-Modepüppchen auf Crack daherkommen.
Argento ist genug eingefallen und er hat inszenatorisch immer noch mehr als genug drauf, um den verspäteten Angang seines Trilogie-Finales gutzuheißen. Sicherlich reicht „Mother of Tears“ nicht an seine beiden Vorgänger heran und ist im Gegensatz zu diesen auch bestimmt kein Meisterwerk oder gar Meilenstein der Horrorgeschichte, doch ein würdiger Abschluss der insgesamt grandiosen Hexensaga ist er trotzdem. Es ist schön zu sehen, dass Argento nach einigen Jahren der belanglosen Mittelmäßigkeit doch noch einmal ein ordentliches Pfund rausgehauen hat.
>> verfasst von Marcel Clerici