Moviebase Frontier(s) - Kennst du deine Schmerzgrenze?
Paris zur Zeit der Aufstände. Gläubige Muslime gegen den Staat, flammende staatliche Einrichtungen am Wegesrand und die aufgebrachte Polizei - während die Beamten gegen die nicht weniger aufgebrachten Menschenmassen zu kämpfen haben, die in den Suburbs von Paris wüten. In dieses Zeitfenster wirft uns FRONTIERE(S) ohne Erklärungen, Umschweife oder Motive. Yasmine, Alex, Tom und Farid mischen ohne hintergründiges Gewissen mit, prügeln sich mit im Dienst befindlichen Polizisten und müssen nach einem großen Coup die Stadt verlassen. Mit 125.000 € im typisch französischen Kleinwagen noch schnell Yasmines verletzten Bruder im Krankenhaus abgeliefert, welcher daraufhin seinen Wunden erliegt, schon rückt die belgische Grenze in greifbare Reichweite.
"Sind wir denn eigentlich noch in Frankreich?", fragt sich Tom, während er mit dem Auto gerade durch die Einöde fährt. Tristesse, eine bodenständige Bauernlandschaft, die nur selten von einzelnen Bäumchen begleitet wird. Ausgerechnet hier, mitten im Nirgendwo, will sich das Quartett treffen. Ein Bauernhof, oder was man an dieser Stelle auch immer Motel nennen mag, sollte als Übernachtungsmöglichkeit ausreichen, um die freien Weiten Hollands zu erreichen. Punkt. Der Film beginnt an dieser Stelle im eigentlichen Sinne. Politische Hintergedanken sind fehl am Platz, nutzlose Staffage, um einen blutigen Ausflug in die filmischen Annalen eines The Texas Chainsaw Massacre zu unternehmen. Denn genau hier setzt auch das Werk von Xavier Gens an, vollkommen unverblümt und ohne einen Hehl daraus zu machen, sich frech bei der Konkurrenz zu bedienen.
Degenerierte Bewohner empfangen die Schar dann grüppchenweise, verfrachten sie in ein Zimmer und schicken zwei Damen zur körperlichen Befriedigung gleich mit. Das Mittel zum TCM-Feeling gestaltet sich dabei einfach und greifbar. Man nehme eine heruntergekommene Gegend, ein Haus, das diese Bezeichnung nicht verdient, einen "Fleischereibetrieb" im nicht sichtbaren Teil und Bewohner, die nicht alle Gehirnwindungen am rechten Fleck zu haben scheinen. Unsere Gäste bleiben natürlich trotz aller warnenden Hinweise dankend im Haus. Das Schlachtfest kann also beginnen - ob man will oder nicht. Und es wird gematscht, dass selbst der beste plastische Chirurg vor einem Rätsel stehen würde - dies sei an dieser Stelle bereits verraten.
Trotz des verhältnismäßig geringen Budgets von rund drei Millionen Dollar muss sich das Werk keineswegs vor der großen Konkurrenz aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten verstecken. Die dreckigen und zugleich durchweg stimmungsvollen Settings vermitteln den Eindruck völliger Abgeschiedenheit. Da fällt es dann auch weniger ins Gewicht, wenn nächtliche Szenen nicht zwingend als solche zu erkennen sind, da die begrenzten Mittel letztendlich doch kaschiert werden müssen. Doch Optik ist bekanntlich nicht alles. Gens macht es sich zu einfach. Mit einer vermeintlich ausgeklügelten Geschichte und politisch hinterfragenden Elemente, die aus allen Ecken und Kanten der filmischen Historie zusammengeklaubt sind, lebt es sich nicht unbedingt besser. Der störende Faktor dieser unübersehbaren Unkreativität ist schlicht ärgerlich. Gens kostet die Thematik der Unruhen zu keiner Sekunde aus, vielmehr sind diese als bewusst eingesetztes Mittel der getäuschten Vielschichtigkeit zu verstehen.
Tiefgründiger wird es dann auch im weiteren Verlauf nicht mehr: Opa Von Geisler, zu Zeiten des Krieges dem eigenen Heimatland entflohen, dürstet es im heimeligen Familiengeschäft nach absoluter Reinheit. Seine Kinder müssen das reinste Blut besitzen und den fragwürdigen Überzeugungen heutiger Neo-Nazis folgen. Dieser NS-Schwenk steht im krassen Kontrast zum eigentlichen Kontext der Unruhen und verleiht FRONTIERE(S) geradezu groteske Züge. Diese plakativ zur offenen Konfrontation mit dem Kinopublikum eingesetzten Mittel sollen die Schwächen in Dramaturgie und Ideologie der Gewalt verwässern, um dem bestimmenden Gemisch aus harter Hinrichtung, in Kopfschüssen, Verbrennungen und dem Zersägen von Körpern niederschlagend, entgegen zu treten. Schließlich will sich auch Gens nicht vorwerfen lassen, blind der breit getretenen Torture Porn Welle zu folgen - er macht dabei zwar nicht wirklich viel falsch, aber auch nicht wirklich viel richtig.
Obwohl Trailer und Synopsis eine andere Wahrheit suggerieren: FRONTIERE(S) baut sich um seine ausufernde Gewaltdarstellung herum auf. Die geschichtlichen Verweise und Charaktere - allesamt Unsympathen - existieren nur aus diesem einen Grund. Wenn sich ein Film bei der Vertuschung dieser Tatsache dann so ungeschickt anstellt wie in diesem Fall geschehen, kann das finale Ergebnis trotz aller Ästhetik nicht für sehenswert befunden werden. Sollte ein Blutbad auf dem Programm stehen, bei diesem Punkt gibt sich die Produktion nämlich keinerlei Blöße, darf der Blick ruhig auf dem französischen Machwerk traditioneller Herstellungsweise ruhen. Der Rest rollt auch weiterhin fleißig mit den Augen.
>> verfasst von Torsten Schrader