Moviebase Splice - Das Genexperiment
Vincenzo Natalis Filme haben bisher schon jenen entscheidenden Schritt neben dem Üblichen gelegen, der sie zu zumindest bemerkenswerten Filmen machte. Cube (1997) dreht eine sehr minimalistische Idee so lange weiter, bis daraus ein wahrhaft klaustrophobisches Drama wird; das Experiment, dem die Figuren unterworfen werden, bereitet in seiner Grundstruktur schon die Menschenversuche vor, die die Saw-Serie erst sieben Jahre später wieder aufnahmen. In Cypher (2002) hingegen tauchte er die Welt zwar in ein ähnlich menschenfeindliches Licht, versteckte dahinter allerdings eine Agentenstory, deren viele Realitätsebenen nicht nur den Protagonisten gehörig verwirrten.
Sein neuester Film Splice schreibt sich in eine ganz andere Tradition ein und scheint in diesem Sinne zunächst ein schlichterer Film zu sein. Hier bilden mad-scientist-Streifen und Monsterfilme die Blaupause, James Whales Frankenstein (1931) hat in mehr als einer Hinsicht Pate gestanden. Aber im Gegensatz zu den derzeit üblichen „Reboots“, „Reimaginings“ und was der Remakes’ Bezeichnungen noch mehr sind, hat sich Natali dafür entschieden, das vorhandene Material nur als Inspirationsquelle und filmisches Verweissystem zu begreifen und kräftig mit zeitgenössischer Technologie und neuen Gedanken zu unterfüttern. Was dabei herauskommt, ist in gewisser Weise ein Gegenentwurf zum aktuellen, historisierenden Monsterfilm à la The Wolfman (2010): Weniger am Effekt interessiert als an einer dichten, modernen Geschichte mit überzeugenden Charakteren.
Sein Monster des 21. Jahrhunderts ist natürlich nicht mehr ein Konglomerat aus Leichenteilen, es ist uns ähnlicher und lebendig, und doch von Menschenhand geschaffen – ein genetischer Hybridkörper, menschliches Erbgut mit fremden Versatzstücken vermischt, ein womöglich besserer Mensch, dessen Existenz vor allem eines androht: unser eigenes Aussterben. Species (1995) spielte das schon einmal auf finsterem B-Movie-Niveau mit Aliengenen durch, und das Ende von Alien: Resurrection (1997) ist auch deshalb eine ambivalente Angelegenheit, weil der monströse, hybride Ripley-Alien-Klon humaner wirkt als wir Menschen selbst – und doch so viel gefährlicher. Natalis Splice handelt von einem ganz irdischen Monster. Die beiden Genetiker Clive und Elsa (Adrien Brody und Sarah Polley) erschaffen heimlich, entgegen der Anweisungen ihrer Chefs, ein Wesen aus menschlichen und tierischen Genen – noch bevor sie sich recht entschließen können, den entstandenen Embryo zu vernichten (eigentlich wollten sie ja nur ausprobieren, was möglich ist), kämpft der sich bereits aus der künstlichen Gebärmutter heraus und stellt ihr Leben auf den Kopf.
Denn ganz leicht kann man sich von einem einmal existierenden Lebewesen, einem so niedlichen zumal, nicht wirklich trennen. Die kleine Dren erweist sich zudem als äußerst gelehrig und wächst erstaunlich schnell – ein spannendes Forschungsprojekt also für das Paar, das sich zudem immer mehr in einer Elternrolle verliert, denn Dren ist doch in vielem einer seltsamen, rasch aufwachsenden Tochter sehr ähnlich. Natürlich muss das alles heimlich geschehen, und als das Labor, in dem sie Dren bisher versteckt hielten, für andere Zwecke genutzt werden soll, bringen sie sie auf eine einsame Farm, die Elsa von ihrer Mutter geerbt hat. Dort richten sie in der Scheune ein Quartier für das Mischwesen ein, und alsbald kommt es dann auch sehr rasch zu den ersten wirklichen Konflikten zwischen den zwei Forschern und ihrer Kreatur, die noch einige Überraschungen für die beiden bereithält.
Natali mischt in seinen Film noch eine ganze Reihe von unterschwelligen Themen und Geschichten mit ein – die Unfähigkeit von Clive und Elsa, mit Dren richtig umzugehen, eine Coming-of-Age-Geschichte unter monströsen Vorzeichen, und dergleichen mehr. Der Film nimmt auf diese Weise einige Wendungen, die man vorab schon ahnen kann – und einige, die man sich zu denken so kaum getraut hätte. Das entscheidende an Natalis Film, einem Herzensprojekt, das er nach eigenen Angaben über zehn Jahre und gegen viele Widerstände verfolgt und durchgesetzt hat, ist nicht primär seine Modernität auf der wissenschaftlichen Ebene. Es ist auch gar nicht unbedingt die Eleganz, mit der er Anspielungen auf und Reverenzen an den klassischen Horrorfilm einbaut – das letzte Drittel des Films liegt in seinem Setting den Gruselfilmen der 1930er Jahre schon sehr nahe und versteht es doch, daraus mehr zu machen als nur eine Hommage.
Bemerkenswert ist hingegen vor allem die Komplexität, die die Darsteller ihren Figuren geben. Brody und Polley machen Clive und Elsa zu wahrhaft spannenden Charakteren, mit Brüchen, Ängsten und Fehlern, die alle sichtbar werden und im Film auch zur Handlung und zur am Ende drohenden (schier unvermeidbaren) Katastrophe beitragen. Vor allem aber war die Entscheidung Natalis bedeutsam, Dren nicht primär als CGI-Monstrum anzulegen, sondern von Schauspielerinnen (als Kind Abigail Chu, später Delphine Chanéac) verkörpern zu lassen und ihnen mit herkömmlichen Techniken und schließlich CGI das Monströse hinzuzufügen. Insbesondere Chanéac verleiht der jungen Hybridfrau so in Mimik und Gesten eine Mischung aus Verletzlichkeit und Stolz, aus Schwäche und Kraft, die Computertechnik noch lange nicht in so subtiler Form herstellen kann.
Das macht Splice zu einem starken Film: Dass Menschen und Monstrum sich so ähnlich sind, und so tödlich füreinander.
>> verfasst von Rochus Wolff