Moviebase Manhunt Backwoods Massacre
Die Zeiten sind vorüber, als hochwertiger Horror ausschließlich den Stempel "Made in USA" trug. In der heutigen Zeit schließen immer mehr europäische Länder an die erste Liga auf. Frankreich, Spanien, Belgien oder England - Sie alle liefern schlaflose Nächte für ein Publikum auf der ganzen Welt. Auch Skandinavien wird es gelingen, mit einem Rundumschlag auf das Genre zu punkten. Weshalb auch nicht? Produkte des phantastischen Genres bleiben auch weiterhin kostensparend in der Herstellung, verzichten gerne auf A-List Stars und finden auf dem gesamten Globus einen gewinnbringenden Platz. Dabei spielt es keine große Rolle, ob das Endprodukt auf der großen Kinoleinwand oder dem heimischen Fernsehgerät zu finden ist, denn kleine Produktionsbudgets garantieren große Gewinnmargen.
Ein VW-Bus, gemusterte Kleidung, dicke Sonnenbrillen und Hippie-Kultur. Wir schreiben das Jahr 1974: Vier Freunde machen sich daran, die wenig bevölkerten Gebiete Norwegens zu erforschen und an einem geeigneten Platz das Zelt aufzuschlagen. Eine lange Autofahrt liegt hinter Camilla, Jorgen, Mia und Roger, als sie dem abgelegenen Café im Wald einen Besuch abstatten. Frisch gestärkt und eine Rauferei mit zwei Einheimischen später, soll die Fahrt an diesem lauen Sommertag eine Fortsetzung finden. Prompt drängt sich eine unbekannte Dame auf, um sich zu ihrem kaputten Auto im Wald chauffieren zu lassen. Die vier Freunde werden den Zeltplatz nie erreichen. Als sich die Anhalterin auf der kurzen Fahrt auch noch übergeben muss, tauchen vier Männer im Dickicht auf und machen den jungen Menschen das Leben zu Hölle.
Ob es wohl einen reinen Zufall darstellt, dass ROVDYR in dem gleichen Jahr angesiedelt ist wie Tobe Hoopers Ur-Klassiker The Texas Chainsaw Massacre? Pures Kalkül? Der norwegische Horrorfilm von Patrik Syversen wird im Laufe der Spieldauer noch weitere Anzeichen für einen Vergleich offenbaren. Hippies, Anhalter, verrückte Hinterwäldler. Eindeutig. ROVDYR bedient sich ganz bewusst bei diesem Urgestein der Filmkunst. War es doch an TCM, den Weg für die voranschreitende Bewegung eines gesamten Genres zu ebnen. Ein Zeitsprung kündigt sich an. Norwegen setzte sich in der Vergangenheit vornehmlich mit der Unterbringung dramatischer Kost in den Köpfen geneigter Zuschauer fest. Eine Huldigung an die Leistung Hoopers und der Beginn einer neuen Ära frischer Horrorfilme aus dem hohen Norden also? Es wird sich freilich zeigen müssen.
Backwoods en masse. Ein Name, ein Untergenre. Es kann internationalen Filmemachern nur recht sein, dass sich dieser Name derart breit gefächert auslegen lässt. Überall auf dem Erdball finden sie sich, die zurückgebliebenen Bewohner wenig zivilisierter Standorte. ROVDYR macht in diesem Fall keine Ausnahme und konzentriert sich beim Handlungsverlauf auf den bekannten Wolf im Schafspelz. Diesen Film nur wegen offensichtlicher Ansatzpunkte mit minderwertiger Kost über einen Kamm scheren? Kommt gar nicht in Frage. Syversens Arbeit hebt sich in einem ganz entscheidenden Punkt von der breiten Masse ab: Menschlichkeit statt Tempo. ROVDYR nimmt sich ausgiebig Zeit für die Charakterzeichnung. Diese Vorgehensweise erlaubt die Identifizierung in einer ganz neuen Dimension. Wir fühlen, leben und weinen mit den Akteuren.
In einem Albtraum aus dunkelbraun-grüner Farbpalette. Es stellt sich die Frage: Was würdest Du an dieser Stelle tun? Unentwegt weinen, weil die geliebte Freundin soeben hinterrücks von einem Unbekannten erschossen wurde, oder Mut und Stärke aufbringen, aus der Umklammerung ausbrechen und selbst den Tod nicht scheuen? ROVDYR präsentiert sich roh, gar ungeschliffen. Wackelige Aufnahme von einer Jagd durch den Wald begleiten über einen langen Zeitraum. Diese Maßnahme garantiert Authentizität. Syversen schafft Spielraum für Gefühle und menschliche Taten. Auch deshalb geht das Gesehene so sehr an die Nieren. Wie es bereits Alexandre Aja bei seiner Interpretation der The Hills Have Eyes gelang, wird die gegebene Nähe zu einer immer enger werdenden Schlinge um den eigenen Hals.
Von zwei entscheidenden Störfaktoren kann sich die Produktion dabei nicht gänzlich befreien. Die Täter, das namenlose Pack im Unterholz des Waldes, bleibt dies auch. Undefinierte Gestalten ohne Hintergrund. Ein einfacher, jedoch wenig effektiver Weg einen Bösewicht zu etablieren. Besaßen die Mutanten in Aja's Werk instinktive, doch gerechtfertigte Beweggründe, bleiben die Gesichter hier profillos und blass. Trotz aller Intensität gelingt es den Autoren zudem nicht, eine durchgehende Spannungskurve aufrecht zu erhalten, die das Erlebnis über eine recht kurze Dauer von achtzig Minuten trägt.
So bleibt uns ROVDYR auch nach beendeter Sichtung eine wichtige Antwort schuldig. Welche Aussage will Patrick Syversen mit diesem Film treffen? Ob er wohl die Tatsache verdeutlichen möchte, dass Derartiges immer und überall vonstatten gehen kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind? Einer Prüfungskommission der hiesigen Alterskontrolle dürfte das Gesehene ebenfalls Kopfzerbrechen bereiten. ROVDYR markiert nicht umsonst den erst zweiten finnischen Film innerhalb der letzten zwanzig Jahre, welcher mit einer Freigabe ab 18 gesegnet wurde. Wir atmen tief ein, setzen uns auf den moosigen Waldboden, und lassen das Erlebte Revue passieren. Schlagworte? Einer der intensivsten Slasher seit Jahren meets Backwoods-Horror in Reinkultur; Und, ja, kleine Schwächen gibt es natürlich auch.
>> verfasst von Torsten Schrader