Moviebase Vinyan
Wenn die Kutter in Burma Trauer tragen...
Sechs Monate, nachdem das Ehepaar Jeanne (Emmanuelle Béart) und Paul (Rufus Sewell) ihren einzigen Sohn Joshua während der Tsunami-Katastrophe in Thailand verloren hat, glaubt die fragile Jeanne, ihn auf einem Video über obdachlose Kinder in Burma wiederzuerkennen. Trotz Pauls Skepsis begeben sie sich mithilfe zwielichtiger Triadenanhänger auf die Suche. Doch die Suche entwickelt sich allmählich nicht nur zu einer wahnhaften Irrfahrt in die Tiefen des burmesischen Dschungels, sondern auch in die Abgründe der menschlichen Seele.
Gleich zu Beginn des Films herrscht das Chaos:
Wir befinden uns in tobendem Gewässer, Luftbläschen wirbeln wild durcheinander oder sind es Hunderte von Laternen entzündet für „Vinyan“, böse Seelen von Menschen, die einen grausamen Tod starben und keine Ruhe finden wollen? Plötzlich färbt sich das Wasser rot und das Rauschen vermischt sich mit furchtbaren Schreien. Dann herrscht Stille und wir tauchen auf in eine paradiesisch anmutende Küstengegend mit Jeanne im Zentrum. Eine wunderschöne Eva im Paradies, jedoch wissen wir nun, dass dieser Schein trügt, wurde uns ja soeben ein kleiner Einblick unter die Oberfläche (und in Jeanne) gewährt.
„Vinyan“ mag zwar zu Beginn die Angst vor der Fremde zu behandeln, doch neben dem unwirtlichen Thailand und den sprachlichen Verständigungsproblemen dreht sich der Film primär um die Angst vor dem Mysterium Frau. Fabrice du Welz schuf einen Film voller Kontraste: Mann und Frau stehen sich gegenüber, die zerbrechliche Jeanne auf der einen und der energetische Paul auf der anderen Seite; das hektische Thailand zu Beginn und der tiefste burmesische Dschungel gegen Ende. Befinden wir uns anfänglich noch auf Distanz im hektischen Stadtgemenge, so dringen wir im weiteren Verlauf des Filmes immer weiter in die Psyche des Paares ein, was durch den unwirtlichen Dschungel, eine wilde, fieberhafte Kameraführung und unbequemen Nahaufnahmen fast physisch spürbar wird. Deshalb besitzt das letzte verstörende Viertel des Werkes einen kammerspielartigen Charakter und gehört zusammen mit der eindrucksvollen Tonspur zu dem intensivsten Dschungeltrip seit Langem.
Das ist besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass dieser Film erst Fabrice du Welz’ zweite Regiearbeit ist. Doch schon sein Debüt „Calvaire“ konnte durch seine bizarre Andersartigkeit und Originalität punkten und brach vergnügt gängige Konventionen des Backwoods-Horrorgenres. Mit „Vinyan“ entwickelt er seinen eigenen Stil gekonnt weiter und betritt neues Terrain, einen höllischen Mix aus Arthouse und Horror.
„Vinyan“ erinnert streckenweise an „Apocalypse Now“, nur dass die Absurdität und der Wahnsinn hier nicht im Krieg, sondern im „Ehekrieg“ der beiden Protagonisten liegt. Wenn Paul im Alkoholrausch eine Hütte in Brand steckt und tobt, fühlt man sich stark an Kriegsszenen erinnert. Gerade erst führte uns Lars von Triers „Antichrist“ in ähnliche Abgründe. Auch in „Vinyan“ ist die Verbindung zwischen Frau und Kind für den Mann schier undurchdringlich und unverständlich. Der Mann droht dieses innige Band zu zerstören und wird als Eindringling gesehen, der die Emanzipation der Frau bewusst und unbewusst hindert. Dagegen hilft nur der radikale Befreiungsschlag, darauf scheint zumindest das Ende hinzudeuten.
Fabrice du Welz hat mit „Vinyan“ einen einzigartigen Horrorfilm geschaffen, der wie schon „Calvaire“ zu verstören weiß und zudem das Genre einen Schritt nach vorne in Richtung Horror mit Anspruch treibt, fernab momentan angesagter Torture Porns. Für Fans transgressiven Horrors mit Ecken und Kanten sehr empfehlenswert.