Zeitreisen faszinieren die Wissenschaft – und die Filmwelt. Die wohl amüsanteste und erfolgreichste durfte Michael J. Fox als Marty McFly vor über 25 Jahren in der „Zurück in die Zukunft“-Trilogie starten. Doch auch heute hat die Begeisterung für einen Sprung in die Vergangenheit oder Zukunft noch immer nichts an Reiz verloren. So nahm sich Regie-Debütant Nacho Vigalondo 2007 ebenfalls diesem Thema an und verfasste direkt das Drehbuch zu seinem etwas anderen Zeitreisefilm, bei dem auch der Zuschauer gefordert ist.
Hector heißt der arme Tropf, der sich plötzlich inmitten eines haarsträubenden Abenteuers wiederfindet. Bei einer kleinen Rast im Garten seines frisch bezogenen Landdomizils entdeckt er per Fernglas eine Frau im Gebüsch, die vor seinen Augen zu entkleiden beginnt. Als sie plötzlich verschwindet, schleicht Hector in den Wald und findet die Unbekannte splitternackt und bewusstlos auf einer Lichtung. Was zum Henker geht hier vor sich? Viel Zeit bleibt ihm nicht, darüber nachzugrübeln - schon rammt ihm jemand aus dem Hinterhalt eine gigantische Schere in den Arm. Blutüberströmt beginnt Hector, um sein Leben zu rennen. Doch der gespenstisch vermummte Angreifer ist ihm dicht auf den Fersen und kennt kein Erbarmen…
Vigalondos Erstlingswerk beginnt ziemlich unspektakulär. Der Hauptdarsteller kommt, etwas chaotisch, nach Hause und sitzt alsbald mit seiner Gattin im eigenen Garten. Noch hat das ganze Szenario etwas von einer Komödie: Hector ist kein Held, ganz im Gegenteil, er ist der Durchschnittsbürger in Person. Etwas tollpatschig, aber warmherzig, und bestimmt weder Killer noch Killerjäger. Gerade deshalb ist Vigalondos Hauptcharakter aber auch so zugänglich. Die Identifikation mit Hector fällt leicht, sieht man in ihm bestenfalls einen netten Kumpeltypen. Wie falsch man mit dieser Annahme liegen kann, macht sich im weiteren Verlauf der Geschichte bemerkbar.
Regie- und Drehbuch-Debütant Vigalondo setzt weder auf rasante Kamerafahrten noch auf Panik machende Effekthascherei durch Musik oder besondere Perspektiven. Vielmehr gelingt es ihm durch eine fast schon ruhige und sanfte Art, die Spannung aufzubauen und auch aufrecht zu erhalten. Und er tut gut daran, schließlich wird das Gezeigte noch verzwickt genug, weshalb jeder andere Filmstil wohl Probleme für den Zuschauer bedeutet hätte. Bevor es überhaupt mit der eigentlichen Zeitreise losgeht, befinden wir uns in einem Krimi mit Thriller-Elementen, der quasi alleine von Hauptdarsteller Karra Elejalde („The Nameless“, „Biutiful“) getragen wird. Durch seine eben schon angesprochen unspektakuläre und durchschnittliche Art wirkt dessen Handeln stets authentisch und nachvollziehbar: Er möchte doch eigentlich nur helfen. Auf der Flucht vor dem Mörder mit der pinken Bandage rennt Hector eher aus Not in das Silo eines Wissenschaftlers (gespielt vom Regisseur selbst), welches sich so dann als Zeitreisemaschine entpuppt.
Prompt wird Hector rund anderthalb Stunden in der Zeit zurückgesetzt. Hier beginnt die eigentliche Stärke von „Time Crimes“: Der Zuschauer begleitet nun Hector dabei, wie er sich selbst im Garten sitzen sieht und das anfängliche Szenario von vorne beginnt. Zeit genug für den zweiten Hector, das nun Bevorstehende mit seinem Hintergrundwissen zu vermeiden – was sich als schwieriges Unterfangen entpuppt. Allmählich bringt Vigalondo immer mehr Licht ins Dunkel und der Zuschauer ist hautnah dabei, wenn unser sympathischer Antiheld allmählich herausfindet, was hier tatsächlich vor sich geht. Das Treiben ist mit einem ebenso ironischen wie humorvollen Unterton versehen, was das Zuschauen noch unterhaltsamer gestaltet. Interessant ist an dieser Stelle auch die kleine Verwandlung eines netten und neugierigen in einen nun etwas mürrischen, unvorsichtigen Hector.
Die verschiedenen Blickwinkel der unterschiedlichen Hectors fügen sich logisch zusammen. Spannend ist dabei zu entdecken, wie welches Ereignis wie ausgelöst wurde. Hier sollte das Gehirn unbedingt eingeschaltet werden, macht „Time Crimes“ doch erst dann so richtig Spaß. Der Zuschauer spielt Detektiv, würde Hector bei seiner Suche nach dem Ausweg aus der Zeitschleife zu gerne unterstützen – aber er kann nicht.
Der Soundtrack von Chucky Namanera fügt sich stimmig ins Gesamtbild ein. Ein übertriebener Einsatz von Geigern bei drohenden Schockmomenten bleibt uns verschont, stattdessen verdichtet der Komponist mit unterschwelligen Tönen die Atmosphäre. Dass in Vigalondos Film lediglich vier Schauspieler erscheinen, merkt man gar erst nach Rekonstruktion des eben Gesehenen. Viel zu sehr ist man während des Films mit der Aufklärung der Geschehnisse beschäftigt. Das geringe Produktionsbudget sieht man dem Werk zwar an, es schmälert aber in keinem Fall die Qualitäten des Filmemachers.
„Time Crimes“ ist ein etwas anderer Krimi-Thriller, der mit einer cleveren Geschichte und tollen Schauspielern aufwartet. Freunde von Popcorn-Kino sollten sich zweimal überlegen, ob sie sich für diesen Film entscheiden: das Köpfchen sollte eingeschaltet sein! Dass der Ruf von Hollywood nach einem Remake beim Erfolg von „Time Crimes“ nicht ausbleiben würde, war zu erwarten. Regisseur Christoph Smith („Severance“, „Creep“) nahm sich im Jahr 2009 der gleichen Thematik an, fügte etwas mehr Kunstblut hinzu, verlegte die Handlung auf ein Schiff und nannte das Ganze „Triangle“. Nächstes Jahr soll dann das offizielle englischsprachige Remake mit dem einfallsreichen Titel „Timecrimes“ in die amerikanischen Kinos kommen. Zuvor sollte man aber zum Original greifen und einer guten Idee mit solider Umsetzung die verdiente Zuneigung geben.
>> verfasst von Janosch Leuffen