Moviebase So finster die Nacht
Oskar ist einsam. Der Zwölfjährige lebt, irgendwann wohl in den 1970er Jahren, mit seiner Mutter in einer schwedischen Vorortsiedlung, in der sich ein graues Mietshaus ans andere reiht. Im Winter geht die Sonne hier schon sehr früh unter, und Oskar sitzt dann, wenn er nicht zu Besuch bei seinem dem Alkohol gern zusprechenden Vater ist, abends zwischen den Häusern auf verlassenen Spielgeräten, die wie Gerippe aus dem Schnee ragen. Wenn seine Klassenkameraden ihn den Tag über mehr als üblich drangsaliert haben, lässt er seine Wut darüber mit seinem Klappmesser an einem Baum aus.
Tomas Alfredsons „Låt Den Rätte Komma In“ nach einem erfolgreichen Roman von John Ajvide Lindqvist entzieht Oskars Welt fast vollständig aller Farben. Nur wenig spielt sich hier bei Sonnenschein oder in wirklich hellem Licht ab – und diese Szenen sind für Oskar meist die frustrierendsten, demütigendsten. Das Dunkel der Nacht bietet ihm leichter die Möglichkeit, allein zu sein - bis dann auf einmal Eli in der Wohnung nebenan einzieht, ein etwa gleich altes Mädchen, das immer nur nachts seine Wohnung verlässt; sie wird Oskar Mut machen, sich gegen seine Drangsalierer zur Wehr zu setzen.
„Ich kann nicht dein Freund sein“, ist einer der ersten Sätze, die Eli sagt, aber natürlich werden die zwei doch Freunde, und das ist das vielleicht ungewöhnlichste und zauberhafteste an diesem Film. Denn Eli ist schon „seit langer Zeit zwölf Jahre alt“; sie ist ein Vampir. Für Oskar, der naturgemäß etwas länger braucht als der durchschnittliche Kinozuschauer, um dies zu begreifen, spielt das aber eine äußerst geringe Rolle - und für uns auch. „So finster die Nacht“, wie der Film mit deutschen Verleihtitel heißt, ist nämlich vor allem eine präzise erzählte und fotografierte Coming-of-Age-Geschichte, die eher aus Versehen auch ein Vampirfilm ist. Natürlich geht es immer wieder um Elis Nahrungsbeschaffung, treiben die zwangsläufig folgenden Todesfälle auch die äußere Handlung voran. Auch stechen gerade durch die nüchterne, realistische Darstellung des Lebens in der Vorstadtsiedlung samt ihrer sozialen Probleme Elis besondere Kräfte und Fähigkeiten besonders hervor, weil sie in dieser, unserer eigenen Realitätserfahrung so nahen Welt fremd wirken müssen.
Im Zentrum des Films steht aber die Beziehung zwischen Oskar und Eli. Sie werden wie Gegensätze inszeniert - Oskar mit hellblondem, Eli mit schwarzem Haar; er als Junge, sie als Mädchen (obwohl sie selbst von sich sagt, kein Mädchen zu sein; und in der Tat ist „Geschlecht“ hier ein womöglich sehr unzureichendes Konzept); er nachgiebig und weich, sie gelegentlich entschlossen und hart. Aus diesen Gegensätzen entwickelt sich eine äußerst vorsichtig ansetzende Liebesgeschichte, in der sich die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, und der Beginn des Erwachsenwerdens gemeinsam einstellen; die geteilte Erfahrung des Daseins als Außenseiter mag dabei behilflich sein.
Das Blutige steht, wie gesagt, hier nie im Fokus. Vor allem wird aber deutlich, wie wenig schrecklich dieser spezielle Vampir im Vergleich zu manchen Lebenden ist; wie wenig Verlass auf sie ist, wenn man wirklich Hilfe benötigt. Zugleich entwickelt der Film unser Bild vom Vampir sehr subtil weiter; Vampirismus als Lebensform eröffnet hier nicht die Möglichkeit einer angenehmen, aristokratisch-elitären Existenz, sondern ist vor allem eine einsame und gefährliche Angelegenheit; und dass Eli so melancholisch wirkt, liegt wahrscheinlich nicht nur daran. Denn wie ein kleiner Nebenstrang der Erzählung deutlich macht: Es muss Furcht erregend sein, selbst zum Vampir zu werden.
>> verfasst von Rochus Wolff