Moviebase Otto; or, Up With Dead People
Let’s pretend that everyone’s dead!
Ernsthaft, ein Film muss irgendwas richtig gemacht haben, wenn man aus dem Kinosaal geht und von diesem Abend an mit einem Ohrwurm im Kopf leben muss. Er verfolgt einen Tagsüber, in der Nacht, in der Zeit dazwischen – und das Schlimme daran ist, man muss pausenlos an diesen Film zurückdenken, der einem diese unvergessliche Melodie beschert hat. „Take My Breath Away“ von Berlin war so ein Kandidat – dieses Lied wird dem geneigten Zuseher den Film „Top Gun“ auf ewig vor Augen, besser Ohren, führen. Und wir bewegen uns gar nicht so weit weg und bleiben bei schwulen Filmen, dieses Mal jedoch nicht für Scientology-Fans, sondern eher für Anhänger des Genre-Films: „Otto; or Up With Dead People“ macht genau das, was schon Pasolini oder auch Genre-Kollege Romero zu wissen vermochte. Simpel eigentlich: man faltet zwei Themen aufeinander und heraus kommt eine faszinierende Augenöffnung, oder besser, augenöffnende Faszination. Wenn auch in diesem Fall mit Qualitätseinschränkungen… doch da kann Otto nichts für, sondern nur der Zuseher.
Denn Otto ist nur ein Zombie. Für ihn ist das Zombie-sein selbstverständlich. Klar, wie soll es auch sein, er kennt es ja auch nicht anders. An sein (Indie-)Leben vor dem Leben nach dem Tod kann sich der junge Mann nicht mehr erinnern. Sein Weg führt ihn aus dem Brandenburg’schen Umland direkt hinein in den Höllenpfuhl der Sünden: Berlin. Dort sucht er sich Unterschlupf in den Ruinen des ehemaligen Spreeparks. Seinen Heißhunger auf Fleisch stillt der menschenfreundliche Genosse mit Federvieh und Roadkills – klar, sonst könnte er ja tagsüber auch nicht unerkannt durch die Stadt laufen und die Gegend erkunden. Eines Tages trifft Otto auf die Filmemacherin Medea, die zusammen mit ihrer Freundin Hella und ihrem Bruder Adolf ihren epischen Politik-Zombie-Porno „Up With Dead People“ realisiert. Für Medea steht fest: ihr Hauptdarsteller ist gefunden. Otto bekommt, wider dessen Willen, eine Schlafgelegenheit bei Schauspielkollegen Fritz spendiert. Eine überaus komfortable Situation für einen Zombie, der so etwas wie Schlaf gar nicht nötig hat. Während der Dreharbeiten zum Film findet Otto ein Stück aus seiner Vergangenheit wieder: ein Blick in seinen Geldbeutel ruft in ihm Erinnerungsfetzen hervor. Vorwiegend Erinnerungsfetzen der schönen Art an seinen Ex-Freund Rudolf. Soweit es für einen Zombie möglich ist, engagiert er ein Treffen mit ihm. Und irgendwann fängt man an sich zu fragen, wer in der ganzen Geschichte der wahre Zombie ist…
Wer die bisherigen Werke von Regisseur Bruce LaBruce kennt, der weiß, was von diesem Werk zu erwarten ist. Irgendwie jedenfalls. Denn wer die bisherigen Werke von Regisseur Bruce LaBruce wirklich kennt, wird bei diesem Film eine für ihn recht ungewöhnliche Sentimentalität bemerken. Überhaupt wird versucht, die Rezeptur der Zutaten in perfekter Dosierung zusammenzumischen. Witz, Horror, Drama, Schock, bitterböse Satire und natürlich die Mischung aus alldem: Sex. Wenn man nämlich genauer überlegt, ist die Tatsache, das inhaltsleere Dasein eines Zombies auf die Schwulenszene in Berlin zu übertragen schlichtweg… clever! Objektiv gesehen geht es in beiden Szenarien um hauptsächlich zwei Dinge: da wäre zum einen die Fleischlust, die auf beiden Feldern eine 100%ige Abdeckung des Verlangens darstellt. Zum anderen wäre da die doch vorhandene Sehnsucht nach Liebe und Harmonie, Vollkommenheit und Erfüllung.
Klar, Zombies aus der Dead-Trilogie oder den 28-Something-Later Filmen dürsten in erster Linie nicht danach, unser Protagonist Otto hingegen in irgendeiner Art und Weise schon. Ein großer Wert, denn gerade dies ist eine der Zutaten, die „Otto; or Up With Dead People“ für ein breiteres Publikum zugänglich machen. Natürlich wird sich vor allem Bruce LaBruce’s vorwiegend homosexuelles Fan-Publikum in dem Film zurechtzufinden, noch mehr sogar diejenigen, die in Berlin ansässig sind. Doch auch Hetero-Zuseher werden die Gelegenheit bekommen, sich in dieses teils arg psychedelische Drama zu verlieben. Die Nebencharaktere geben dem Film nämlich genügend Gelegenheiten dazu – obwohl Otto definitiv Träger der Hauptrolle und Titelgeber des Films ist, sind es gerade die zahlreichen Supports, die den Film tragen. Allen voran die perfekte Überzeichnung Medeas, einer Berliner Regie-Diva, und ihrer Freundin Hella, ihres Zeichens Schauspielerin aus der guten, alten Zeit des Stummfilms.
Wer sich bei Otto von Anfang an darauf einstellt, einen Independentfilm im klassischen Stil zu sehen und sich nicht von Sex und Fleisch in blutiger Mischung auf der großen Leinwand gestört fühlt, wird mit „Otto, or Up With Dead People“ viel Freude haben. Der Rest hat für die nächsten Wochen wenigstens was zu erzählen. Beide Gruppen werden jedoch eins haben: einen Ohrwurm… Let’s pretend that everyone’s dead….
Bruce: Danke! Homophones: auch!
>> verfasst von Dominic Stetschnig