Moviebase Unter Kontrolle
Fünfzehn Jahre nach ihrem verstörenden Erstling Boxing Helena nahm Jennifer Lynch, Tochter des von den einen vergötterten, von den anderen regelrecht verhassten Filmemachers David Lynch, wieder auf dem Regiestuhl Platz. Ihr in Cannes uraufgeführter Suspense-Thriller Unter Kontrolle kommt im Stil des Kurosawa Klassikers Rashomon daher und mit dem Versprechen, den Zuschauer auf eine Reihe falscher Fährten locken zu wollen. Wenn sich Frau Lynch da nicht mal verhoben hat.
Es ist immer gefährlich, einen gesamten Film auf einen finalen Plot-Twist hin zu konstruieren. Wenn die Teile auch hinterher noch zusammen passen und die Pointe nicht zum Selbstzweck verkommt, können daraus in der Tat unvergessliche Kinomomente entstehen. M. Night Shyamalan hat mit The Village bewiesen, wie sich beides auf eine sinnvolle Art miteinander verbinden lässt. Dort regte die letzte Enthüllung einen ethischen Diskurs aus, der weit über den abgesteckten Rahmen der Filmhandlung hinausreichte. Wie überflüssig ein Plot-Twist zuweilen aber auch sein kann, zeigt das Beispiel Haute Tension. Das tat richtig weh.
Unter Kontrolle schildert ein spektakuläres Verbrechen anhand dreier unterschiedlicher Zeugenaussagen. Auf einer Landstraße irgendwo im Nirgendwo ereignet sich eine brutale Mordserie, die von einem achtjährigen Mädchen (Ryan Simpkins), einer zugedröhnten Kokserin (Pell James) und einem der örtlichen Kleinstadt-Cops (Kent Harper) beobachtet wird. Die Bundespolizei schickt die beiden Ermittler Anderson (Julia Ormond) und Hallaway (Bill Pullmann) an den Tatort, wo sie die Zeugen getrennt voneinander befragen sollen. Schnell wird deutlich, dass Details in den Aussagen nicht zusammenpassen. Alle Drei verstricken sich in Widersprüche, was den Verdacht nahe legt, dass sie den Ermittlern nicht die Wahrheit über das berichten, was sich tatsächlich ereignet hat.
Lynchs Rückkehr als Filmemacherin beginnt gleich mit einem Paukenschlag. Die ersten Minuten von Unter Kontrolle, in denen zu einer bedrohlichen Soundkulisse ein eruptiver Gewaltausbruch den Zuschauer förmlich überrollt, sind verstörend und beklemmend. Und sie machen Lust auf einen spannenden Thriller, auf den man dann allerdings vergebens wartet. Denn nach der Exposition und dem ersten Auftritt der FBI-Ermittler verliert sich Lynch in einem nur leidlich interessanten Geflecht aus Rückblenden, die weder spannend noch besonders dynamisch erzählt sind. Dass einem der Film fortwährend suggeriert, wie wahnsinnig clever und durchdacht er doch sei, macht die Sache eher noch schlimmer.
Man würde sich nur zu gerne von der stilvollen Optik in dieses dreckige Kaff und in die beängstigende Weite dieser Einöde entführen lassen – die Dreharbeiten fanden in der kanadischen Provinz Saskatchewan statt – aber daraus wird nichts, wenn immer jemand am Horizont den sorgsam gehüteten Plot-Twist mit wehenden Fahnen ankündigt. Wenn das Geheimnis dann endlich gelüftet ist, schleppt sich die Geschichte in einer Art Anti-Klimax noch rund 20 Minuten dahin, in denen Minute für Minute jede Menge heiße Luft abgelassen wird. Spätestens dann hat Lynch auch den letzten Rest an Kredit verspielt und man wünscht sich, ihr verhätscheltes „Baby“ hätte nie das Licht der (Kino-)Welt erblickt.
Papa David, der hier als ausführender Produzent seine Finger im Spiel hatte, vermag es ebenfalls nicht, der Geschichte eine interessante Richtung zu geben. Lediglich das Arsenal schrulliger Charaktere trägt erkennbar auch seine Handschrift. Der örtliche Sheriff (Schurken-Darsteller Michael Ironside) ist ebenso eine Karikatur wie die anderen Landeier und Pullmans FBI-Agent. Unter lautem Getöse mutiert letzterer gar zum grimassenschneidenden Hampelmann. Julia Ormond, die wie Pullmann schon viel zu oft in schlechten Filmen mitspielen musste – zuletzt in dem trashigen Ich weiß, wer mich getötet hat an der Seite von Party-Luder Lindsay Lohan –, sind die leisen Töne vorbehalten. An ihrer Darstellung gibt es nichts zu mäkeln oder zu kritisieren. Ganz im Gegensatz zu Lynchs zweiter Regiearbeit, die sich beizeiten selbst ins Aus manövriert.
>> verfasst von Marcus Wessel