Moviebase Heartless
Manche Filme verlieren an Qualität, je mehr man über sie nachdenkt. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um grundsätzlich schwachsinnige, aber zumindest unterhaltsame Machwerke; während man sich im Kino noch über trashige One-Liner, Explosionen und Zoten amüsieren kann, kommt am nächsten Tag die Erkenntnis, dass man sich doch im Grunde an ziemlich dümmlichen Schwachsinn erfreut hat, fast wie ein Kater, der dem Rausch folgt. Andere Filme gewinnen hingegen in der Rückschau: Man mag zunächst etwas enttäuscht den Kinosaal verlassen, stellt dann aber unter Umständen erst Tage später fest, dass sich der Regisseur vielleicht doch etwas mehr bei seinem Kunstwerk gedacht hat, als zunächst entdeckt. Philip Ridleys neuester Film "Heartless" zählt gewiss zu letzterer Kategorie, nur ist der Fall hier noch ein wenig komplexer.
Der Name Philip Ridley sorgt erst einmal für hohe Erwartungen, zeichnete der britische Regisseur doch für die brillant-schrägen Streifen "Schrei in der Stille" und "Darkly Noon" verantwortlich (und für einige, nicht minder schräge Kinderbücher). Zunächst scheinen diese Erwartungen auch auf ganzer Linie erfüllt zu werden: Der Film beginnt mit atmosphärischen Bildern der Metropole London, die er in düsteren, schmutzigen Farben zeichnet. Gewalt liegt in der Luft - immer wieder wird eine brutale Mordserie erwähnt, für die sich scheinbar eine Gang von maskierten Jugendlichen verantwortlich zeigt. Der junge Jamie, der seit seiner Geburt mit einem großen herzförmigen Muttermal im Gesicht gezeichnet ist, findet jedoch schon bald auf schreckliche Art und Weise heraus, dass es sich bei den Übeltätern keineswegs um verrohte Teenager, sondern um waschechte Dämonen handelt. Er droht an der Brutalität und Willkür der ihn umgebenden Wirklichkeit zu verzweifeln, als ein geradezu faustischer Pakt mit dem Teufel ihm neue Stärke verleiht. Doch ein solcher Pakt hat wie immer seinen Preis...
Ridley, der sich auch um das Drehbuch bemühte, hantiert in "Heartless" mit verschiedensten Themen, sowohl psychologischer als auch politischer Natur. Da sind zum einen Aspekte wie Selbstzweifel, Unsicherheit, Verführung, Liebe und Schuld, die sich vor allem in der Figur des Jamie manifestieren; der schüchterne Junge fühlt sich von seinem auffälligen körperlichen Makel derart eingeschränkt und von der Gesellschaft ausgeschlossen, dass er schließlich zu allem bereit ist um von seinem Elend befreit zu werden – mit mörderischen Konsequenzen. Zum anderen greift der Film aktuelle politische Themen wie Jugendkriminalität in ihrer brutalsten Form auf, die vor allem vor der Kulisse Londons, wo bereits in diesem Jahr mehrere Jugendliche von Gleichaltrigen scheinbar grundlos ermordet wurden, eine enorme Brisanz erhalten.
Immer wieder betonen die Figuren des Films, in was für einer grausamen, furchterregenden Welt man da doch lebe; eine andere Möglichkeit, als sich zu bewaffnen, sieht auch Jamie schließlich nicht mehr. Dass Ridley die jugendlichen Täter als Dämonen präsentiert, wirkt in diesem Kontext zunächst einmal reichlich unpassend. Junge Menschen, die schließlich auch nur von ihrem Umfeld in die Kriminalität gedrängt wurden, als Monster zu visualisieren, denen man letztlich nur mit Waffengewalt begegnen kann, ist schon eine mehr als zynische Geisteshaltung. Zum Glück erweist sich der Film als um einiges schlauer, was sich jedoch erst am Ende der Handlung herausstellt...
So bleibt zunächst einmal der Eindruck, dass sich Ridley mit der thematischen Bandbreite des Films übernommen hat. Die Mischung aus knallhartem Realismus und teils dämonischen, teils märchenhaften Elementen will nicht so recht zusammenpassen. Dazu kommt, dass die Handlung oft unversehens in recht plumpen Kitsch verfällt, besonders dann, wenn sich der Zuschauer mit Jamies Erinnerungen an seinen verstorbenen Vater konfrontiert sieht. Unterstützt wird diese eher unglückliche Tendenz durch den von Hauptdarsteller Jim Sturgess eingespielten Soundtrack, der musikalisch zwar durchaus gefällt, aber mit seinem schmachtenden Gesang die ohnehin emotionalen Szenen eindeutig ins reichlich Übertriebene zieht.
Vor allem das letzte Drittel rettet "Heartless" aber aus seiner ärgerlichen Zerrissenheit. Plötzlich nimmt die Handlung Fahrt auf: Jamies unheimlicher Gönner, der ihn von seinem äußerlichen Makel befreit hat, fordert plötzlich scheußliche Gegenleistungen ein. Generell laufen alle Handlungsstränge zu einem explosiven Finale zusammen, das man so wirklich nicht erwartet hätte. Durch den letzten Plot-Twist, der hier nicht verraten werden kann, verkehrt Ridley die vorherige, scheinbar reaktionäre Haltung des Films auf clevere Art ins Gegenteil. Nur so viel: Manchmal liegt es auch im Auge des Betrachters, ob er einen Menschen oder einen Dämon sehen will. Der gelungene Schlussakt kann nicht über seine anderen Mängel hinwegtäuschen; er sorgt aber dafür, dass man auch nach Tagen noch an "Heartless" zurückdenkt und den Film insgesamt als ein viel überzeugenderes Kinoerlebnis in Erinnerung behält, als man vielleicht zwischendurch befürchtet hat.
>> verfasst von Tim Lindemann