Das Konzept des Endzeitschockers A Quiet Place ist simpel, aber effektiv. Die Erde wird von blinden Aliens überrannt, die jedes noch so kleine Geräusch mit ihrem hypersensiblen Gehör wahrnehmen. Absolute Stille ist deshalb das Gebot der Stunde. Fokussiert auf eine Familie und ihren Kampf ums Überleben, bietet der 2018 veröffentlichte Film enorme Spannung und kommt nahezu ohne gesprochene Worte aus.
Der gigantische Erfolg an den Kinokassen zog – natürlich – eine Fortsetzung nach sich, die allerdings den kammerspielartigen Ansatz aufweicht. A Quiet Place 2 ist größer, lauter, generischer, keine Enttäuschung, jedoch ein Rückschritt im Vergleich mit dem intensiven Vorgänger. Dieser Entwicklung tritt Michael Sarnoski, der das Regiezepter von John Krasinski übernommen hat, mit einem Spin-off-Prequel entgegen, das sich auf den Beginn der außerirdischen Invasion und neue Figuren konzentriert.
Statt den Abbotts, die in den ersten beiden Teilen im Zentrum des Geschehens stehen, folgen wir dieses Mal einer todkranken jungen Frau namens Samira (Lupita Nyong’o), die in New York in einem Hospiz ihrem Ende entgegensieht. Verbittert, zynisch, ausgezehrt – so wird sie eingeführt. Menschlichkeit beweist sie aber nur wenig später, als sie mit anderen Patienten einen Ausflug in ein Marionettentheater macht und plötzlich die Hölle losbricht.
Im Angesicht der extraterrestrischen Attacke hilft sie zwei kleinen Kindern, teilt mit ihnen, was sie an Essen bei sich hat. Während chaotische Evakuierungsmaßnahmen anlaufen, hat Samira ein eigenwilliges Ziel vor Augen: Pizza essen in Harlem. Auf ihrer Odyssee durch die verheerte Stadt begegnet sie dem verloren wirkenden Engländer Eric (Joseph Quinn), der sie und ihre treue Therapiekatze, einen heimlichen Star des Films, fortan begleitet.
Sarnoskis inszeniert den Erstangriff angemessen wuchtig und immersiv, zwängt uns konsequent in die Perspektive Samiras, die in den auf einmal von Staub vernebelten Straßen Manhattans komplett die Orientierung verliert. Bilder, die unweigerlich an die Fernsehaufnahmen nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 erinnern.
Eine gespenstische Stimmung erzeugen auch die Szenen im Theater, in das die Protagonistin wieder flüchtet. Stille, entgeisterte Gesichter, Angst, die mit Händen greifbar ist. Eben hier hat mit Henri (Djimon Hounsou) auch eine Figur aus dem Vorgänger einen kleinen, aber erschütternden Auftritt.
A Quiet Place: Tag Eins bedient durchaus die mittlerweile bestens vertrauten Formeln des Untergangskinos, zeigt die Aliens mehrfach in Aktion, lässt es hier und da krachen, interessiert sich allerdings besonders für die Beziehung von Samira und Eric. Folgen viele dystopische Filme und Serien dem Narrativ, wonach der Zusammenbruch der Zivilisation das Schlimmste in uns hervorbringt, strebt Sarnoski in eine andere Richtung.
Wie wichtig in größter Not die Gegenwart eines anderen Menschen ist, wie sehr man sich gemeinsam stützen kann, malt sein Prequel in eindrücklichen, erstaunlich berührenden Szenen aus. Immer wieder gibt es Passagen der Stille, in denen uns Blicke und kleine Gesten erzählen, was in den Charakteren vorgeht. Mit fein austarierten Darbietungen tragen Oscar-Preisträgerin Lupita Nyong’o und Joseph Quinn entscheidend dazu bei, dass die Reise durch New York immer stärker unter bewegt.
Dass sich der Regisseur auf zurückgenommene menschliche Dramen versteht, bewies er schon in seinem Debütwerk Pig, das einen waldschratigen Nicolas Cage auf die Suche nach einem entführten Trüffelschwein schickt. Was ein Rachethriller von der Stange hätte werden können, entpuppt sich als gut beobachtetes, unkonventionelles, mit meditativen Momenten angereichertes Porträt eines Mannes am Rande der Gesellschaft.
Ein wenig überraschend, dass Sarnoski seinen intime Ansatz auch in ein Studioprojekt wie A Quiet Place: Tag Eins hinüberretten kann. Wer ausschließlich Alien-Thrill sucht, ist hier definitiv an der falschen Adresse.
Gelingt es, über einige Logikbrüche (Ist eine Hospizpatientin etwa in der Lage, um ihr Leben zu laufen und zu schwimmen?) und ein paar pflichtschuldig anmutende Spannungseinschübe hinwegzusehen, entfacht der Film sogartige Qualitäten. Regelmäßig findet der Regisseur starke, nachhallende Bilder für das Dilemma seiner Figuren. Exemplarisch sei der Moment genannt, in dem Samira und Eric die Donnerphasen eines Gewitters ausnutzen, um Anspannung und Verzweiflung hinauszuschreien.
Obwohl das Ende in groben Zügen vorgezeichnet ist, entwickelt A Quiet Place: Tag Eins im letzten Drittel noch einmal eine besondere emotionale Kraft. Längst nicht alle Endzeitgeschichten können das für sich reklamieren. Bleibt nur die Frage, warum der Verleih die Veröffentlichung von Kritiken bis zum Starttag untersagen ließ. Vielleicht aus Angst, nach Untergangsaction suchende Kinogänger würden vom beträchtlichen Dramaanteil abgeschreckt?
> von Christopher Diekhaus
©Paramount Pictures