Nightmare Alley – Kritik: Das nächste Highlight von Guillermo del Toro?

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Im Schaffen des Filmemachers Guillermo del Toro nehmen Monster einen zentralen Platz ein. Seltsame, unheimliche, ausgestoßene Kreaturen, denen der Regisseur immer wieder große Zuneigung entgegenbringt. In ein weniger schönes Licht rückt er oftmals das Ungeheuer namens Mensch. Zuletzt etwa in seiner preisgekrönten Fantasy-Romanze Shape of Water – Das Flüstern des Wassers. Das eigentliche Biest ist dort nicht etwa der in einer Forschungseinrichtung gefangen gehaltene Amphibienmann, sondern der von Michael Shannon inbrünstig einschüchternd verkörperte Sicherheitschef Strickland. In die Abgründe unserer eigenen Spezies blickt del Toro auch in der Romanadaption Nightmare Alley, die auf einer Vorlage des US-Schriftstellers William Lindsay Gresham basiert. Bereits 1947 erschien mit Der Scharlatan eine Verfilmung dieses Noir-Stoffes. Dass sich der mexikanische Oscar-Preisträger nun ebenfalls der Geschichte um einen aufstrebenden Schausteller angenommen hat, muss nicht verwundern. Taucht er doch in ein Umfeld ein, in dem er seine Vorliebe für Abseitiges und detailverliebt ausgestattete Orte richtig ausleben kann.

Die erste Hälfte folgt einem Wanderjahrmarkt, dessen Besitzer Clem Hoately (Willem Dafoe) dem zahlenden Publikum allerlei Kuriositäten anbietet. Zu den ungewöhnlichen Attraktionen gehört auch ein sogenannter Geek, der als Sensation zwischen Mensch und Tier beworben wird. In den Kreis der Kirmestruppe verschlägt es gleich zu Beginn den vor einer offenbar dunklen Vergangenheit flüchtenden Stanton Carlisle (Bradley Cooper), der sein Leben unbedingt in neue Bahnen lenken will. Schnell gehört er zum Stammpersonal des Jahrmarkts. Und rasch findet er Gefallen an der Arbeit des Mentalistenpaares Zeena (Toni Collette) und Pete (David Strathairn), die ihm ihre Tricks und Kniffe erklären. Angezogen fühlt er sich zudem von der zurückhaltenden Schaustellerin Molly (Rooney Mara), die sich angeblich tödliche Stromschläge durch ihren Körper schießen lässt.

Mit dem Erfolg kommt die kreative Freiheit

Nightmare Alley merkt man deutlich an, dass del Toro nach seinem Triumphzug mit Shape of Water – Das Flüstern des Wassers riesige Freiheiten genießen durfte. Immerhin nimmt sich der Regisseur, der zusammen mit Kim Morgan auch das Drehbuch schrieb, ungewöhnlich viel Zeit, um den Zuschauer in den Mikrokosmos des Jahrmarkts einzuführen. Eine ganze Weile bewegt sich die Erzählung nicht wirklich vom Fleck. Wohin die Reise geht, lässt sich schwer vorhersagen. Unterschiedliche Richtungen scheinen möglich. Manch einem mag die Verweigerung, den Plot mit Verve voranzutreiben, übel aufstoßen. Belohnt wird man aber mit starken atmosphärischen Akzenten. Ausgiebig erkundet Dan Laustsens Kamera das an skurrilen Requisiten wahrlich nicht arme Setting und gibt dem Betrachter mitunter das Gefühl, selbst Teil dieses Außenseiterkabinetts zu sein. Einmal mehr ist del Toros neuster Film ein Augenschmaus, den man mehrfach sehen müsste, um alle Einzelheiten des Szenenbilds zu entdecken.

Erinnerungen weckt der Schauplatz übrigens an Tod Brownings einst geschmähten, heute als Klassiker gewürdigten Horrorfilm Freaks von 1932, der das Schicksal einiger in einem Zirkus auftretender Menschen mit unterschiedlichen Missbildungen beschreibt. Am Beispiel der Figur des Geeks übt auch del Toro Kritik an der Ausbeutung im Jahrmarktmilieu. Das Hauptaugenmerk seines Werks liegt allerdings, wie sich langsam herauskristallisiert, woanders. Nightmare Alley erzählt von einem krankhaft ehrgeizigen Mann, der sich zu Höherem berufen fühlt. Irgendwann – das darf man an dieser Stelle noch verraten – kehrt Stanton zusammen mit seiner Geliebten Molly der einfachen, etwas dreckigen Welt der Schausteller den Rücken, um in der New Yorker High Society mit einer verfeinerten Hellsehershow für Furore zu sorgen. Dummerweise ist ihm das jedoch nicht genug.

Die richtige Mischung aus Charme, Arroganz und Härte

Ihren Reiz hat die verhängnisvolle Reise des Protagonisten nicht nur dank der opulenten Bildern. Auch die prominente Schauspielerriege trägt entscheidend dazu bei, dass einige Szenen unter die Haut gehen. Neben Bradley Cooper, der den nach Erfolg gierenden Carlisle mit der richtigen Mischung aus Charme, Arroganz und Härte spielt, sticht vor allem David Strathairn ins Auge, dessen fein ausbalancierte Performance aus Pete eine zutiefst tragische Figur macht.

Bei aller optischen und darstellerischen Klasse fällt aber auf, dass Nightmare Alley manchmal zu grob gestrickt daherkommt. Ständig ist von Komplexen, Schmerz und Traumata die Rede. Eine bahnbrechende emotionale Kraft entfaltet der Film allerdings nicht. Del Toros und Morgans Drehbuch gleitet hier und da in küchenpsychologische Muster ab und hätte der sich von Stanton entfremdenden Molly etwas mehr Aufmerksamkeit schenken können. Nicht voll entwickelt ist überdies die von Cate Blanchett verschlagen und dominant interpretierte Therapeutin Lilith Ritter. Wirkt Shape of Water – Das Flüstern des Wassers in Handlung und Charakterzeichnung so klug konstruiert, erlaubt sich Nightmare Alley ein paar Nachlässigkeiten, die dem Thriller mit Noir-Anstrich am Ende den Sprung in die Spitzenklasse verwehren.

>> von Christopher Diekhaus

©Searchlight

Geschrieben am 20.01.2022 von Carmine Carpenito
Kategorie(n): News, Nightmare Alley



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