Schon Coralie Fargeats Spielfilmdebüt Revenge (2017) stand ganz unter dem Motto „Style over substance“. Ihr furios inszeniertes, blutig-fiebriges Spiel mit den Konventionen des Rape-and-Revenge-Subgenres nahm gefangen, hatte Drive, ohne allzu große Tiefgründigkeit zu erreichen. Ähnliches gilt auch für ihre zweite abendfüllende Leinwandarbeit, die lustigerweise auf den Titel The Substance hört. Besonders viel inhaltliche Substanz darf man einmal mehr nicht erwarten. Ihr Thema, den Jugend- und Schönheitswahn in der Unterhaltungsindustrie, fängt die französische Filmemacherin aber erneut in originellen, verrückten Bildern ein, von denen sich manche im Gedächtnis festsetzen.
Einiges an Aufsehen bekam das stark satirisch aufgeladene Bodyhorrordrama nach seiner Premiere in Cannes schon deshalb, weil die in Hollywood nicht mehr zur A-Liga gehörende Demi Moore hier ein erstaunliches Kinocomeback hinlegt. Wohl nie in ihrer Karriere war die US-Schauspielerin mutiger und warf sich mit so viel Verve in eine Rolle, die ihren eigenen Werdegang zu spiegeln und zu kommentieren scheint. The Substance arbeitet zwar oft mit dem Holzhammer, legt wenig Wert auf Subtilitäten, entwickelt mitunter aber eine Tragik, die sich auch aus den Parallelen zwischen Moore und der von ihr gespielten Figur ergeben.
Zu sehen ist sie als eine fiktive Ex-Leinwandgöttin namens Elisabeth Sparkle, die sich inzwischen ihr exklusives Leben samt Panoramablick auf Los Angeles mit einer hypersexualisierten Aerobic-Sendung im Fernsehen finanziert. Dass ihre glorreichen Tage vorüber sind, bringt Fargeat zu Beginn in einer Montage zum Ausdruck. Zunächst sehen wir, wie Elisabeths Stern auf dem Walk of Fame in Hollywood angefertigt wird. Menschen suchen ihn auf, fotografieren ihn. Doch im Laufe der Jahre nimmt das Interesse dramatisch ab. Der Zahn der Zeit nagt am Material, bis schließlich ein fetter Ketchupkleks auf dem verwitterten Symbol ihres einstigen Ruhms landet. Visuell pointierter kann man den Fall aus dem Olymp eigentlich nicht erzählen.
Demi Moore verändert sich – The Substance geht unter die Haut. ©MUBI
Ausgerechnet an ihrem 50. Geburtstag muss Elisabeth einen neuen Rückschlag verkraften. Ihr Produzent Harvey (wohl eine Anspielung auf Harvey Weinstein!), den Dennis Quaid mit großer Lust am Overacting verkörpert, setzt sie unvermittelt vor die Tür. Weil die Quoten sinken, braucht er ein frisches, junges Gesicht. Geschockt von ihrem Rauswurf, baut die Schauspielerin nur wenig später einen Unfall und hört beim Verarzten ihrer Wunden im Krankenhaus von der titelgebende Substanz. Einem Wundermittel, das eine perfektere Version des eigenen Ichs erschaffen soll. Anfängliche Zweifel wirft Elisabeth über Bord und gelangt nach einer an dubiose Orte führenden Schnitzeljagd in den Besitz eines Pakets mit dem unter der Hand vertriebenen Präparat.
Zu Hause setzt sie sich die erste Spritze, und aus ihrem Rücken schält sich plötzlich eine attraktive junge Frau (Margaret Qualley), die die Wunde der bewusstlosen Elisabeth notdürftig vernäht. Beide Frauen sind, darauf wird mit Nachdruck hingewiesen, aufs Engste miteinander verbunden und müssen sich an einen klaren Ablaufplan halten, soll die Balance nicht in Schieflage geraten. Während Sue, so heißt das Alter Ego, sieben Tage „im Einsatz“ ist, wird die im Badezimmer liegende Elisabeth am Leben gehalten. Danach ist die Oscar-Preisträgerin an der Reihe, darf eine Woche lang das Ruder übernehmen, bis es abermals zum Schichtwechsel kommt.
Großen Wert auf Glaubwürdigkeit legte Fargeat schon in ihrem Debütwerk nicht. Und auch The Substance verlässt den Boden der Logik recht schnell. Die Wirkweise des mysteriösen Mittels und seine Möglichkeiten muss man einfach hinnehmen, wenn man weiter dranbleiben will. Wie in einer klassischen Doppelgängergeschichte kommt es zwischen den beiden Ichs zu Konflikten, die drastische Konsequenzen haben. Sue ergattert den freigewordenen Fernsehplatz, schlägt ein wie eine Bombe und will ihren Erfolg um jeden Preis länger auskosten, während Elisabeth ihre junge Version beneidet und sich bewusst gehen lässt.
Wie eingangs bereits angedeutet, fügt The Substance seinem Thema keine wirklich neuen Erkenntnisse hinzu. Gelegentlich ergeht sich die auch für das Drehbuch verantwortliche Regisseurin in platten Wiederholungen. Und hinten raus zieht sich ihr Film unnötig in die Länge. Demgegenüber steht jedoch eine von Anfang an aggressiv-mitreißende Inszenierung. Töne, Farben und ungewöhnliche Perspektiven springen den Zuschauer regelrecht an und erzeugen eine zwischen absurder Komik und Unbehagen oszillierende Atmosphäre. Dem von Quaid gespielten schamlosen Sexisten rückt die Kamera immer wieder ganz dicht auf die Pelle und gibt ihn dabei der Lächerlichkeit preis. David Cronenberg, John Carpenter und Brian De Palma zitierend, lässt Coralie Fargeat das Blut in rauen Mengen spritzen und steigert sich in ein wahrlich groteskes Finale hinein.
Nachhallend sind nicht nur manche der saftigen Bluteffekte. Auch der Selbsthass, der sich bei Elisabeth mehr und mehr Bahn bricht, geht tief unter die Haut. Mit allem, was ihr zur Verfügung steht, gibt Demi Moore hier eine Frau, die die misogynen Muster der patriarchalen Gesellschaft und des brutalen Showgeschäfts verinnerlicht hat und gegen sich richtet. Erschreckend, zu sehen, wie viel Wut sich beim Blick in den Spiegel entladen kann.
>> von Christopher Diekhaus
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