Moviebase Dark Shadows
Die Kombination „Tim Burton + Johnny Depp + Gothic-Komödie“ klingt nach einer ziemlich sicheren Sache. Und das ist es auch. Der exzentrische Regisseur mit Hang zum Dunklen und Morbiden und sein kreativer Partner können zusammen vermutlich keinen schlechten Film auf die Beine stellen. So überzeugt auch „Dark Shadows“ mit dem von Burton gewohnten Mix aus visueller Raffinesse, Horror und Comedy, absurden Einfällen und einer ungebremsten Freude am Zitat. Wie wichtig Depp für Burton ist – umgekehrt scheint die Abhängigkeit nicht ganz so groß –, sieht man daran, was passiert, wenn Hollywoods Superstar einmal nicht an Bord ist. Das blutleere „Planet der Affen“-Remake war Burtons schafferischer Tiefpunkt, für den er sich noch in zwanzig Jahren rechtfertigen muss. Das ist nicht fair, erklärt sich aber mit den Erwartungen, die gemeinhin an jeden neuen Tim-Burton-Film gestellt werden.
Bereits der Schauplatz und die Handlung klingen dieses Mal jedoch nach einer reinen Tim-Burton-Fantasie. Ende des 18. Jahrhunderts kommt die Unternehmerfamilie Collins aus ihrer Heimat Liverpool in die neue Welt, wo sie im malerischen Maine nicht nur einen schon bald florierenden Fischereibetrieb gründet, sondern zugleich ihr neues, prunkvolles Anwesen errichtet. Der Spross der Familie, Barnabas Collins (Depp), soll die erfolgreichen Geschäfte des Vaters einmal fortführen. Doch dazu kommt es nicht. Sein Pech ist es, dass er ausgerechnet einer Hexe (Eva Green) das Herz bricht, wofür diese ihn verflucht und in einen Vampir verwandelt. Vom Mob tief unter der Erde verbuddelt, kann Barnabas erst 200 Jahre später seinem äußerst beengten Gefängnis durch einen glücklichen Zufall entkommen. Voller Tatendrang sucht er umgehend sein altes Zuhause auf. Dabei trifft er auf die allesamt skurrilen Nachkommen der Familie Collins und den für ihn ebenso befremdlichen Geist der wilden Siebziger.
Es ist die Zeit von Sex, Drugs und Rock’n’Roll, welche mit Barnabas’ unfreiwillig konserviertem Weltbild zunächst auf sehr unterhaltsame Weise kollidiert. Weil dieser mal eben die letzten zwei Jahrhunderte komplett verschlafen hat – „Wie lange dauert es, die Pferde anzuspannen?“ –, reden er und seine neue, schrecklich nette Familie gelegentlich aneinander vorbei. Nicht nur hier zeigt sich, dass Burton mehr auf Komödie denn auf wohligen Grusel nach dem Vorbild „Sleepy Hollows“ setzt. „Dark Shadows“ scheut keineswegs vor Albernheiten und manchmal recht naheliegenden Gags zurück. Wenn Depps Vampir-wider-Willen beispielsweise auf eine Gruppe Gras-rauchender Hippies trifft, dann passiert genau das, was man erwarten durfte. Aber selbst die allzu direkten Kalauer präsentieren Burton und sein durch die Bank erstklassiges Ensemble noch mit soviel Charme, dass die Harmlosigkeit mancher Einfälle erst viel später auffällt.
Anders als bei Depps allseits bejubelten Auftritten als metrosexueller Pirat, ist dies hier nicht allein seine Bühne. Stattdessen baute Burton um ihn herum einen wunderbaren Cast, der bis zu den Gastauftritten von Christopher Lee und Alice Cooper das Herz jedes Filmfreundes ganz einfach höher schlagen lassen muss. Nachwuchstalent Chloë Grace Moretz („Kick-Ass“) verwandelt jeden ihrer Auftritte in eine kleine Leinwandrebellion und Michelle Pfeiffer beweist, dass sie auch mit über 50 noch verdammt sexy sein kann. Eva Green als laszives Hexenluder und der ansonsten auf Psychopathen abonnierte Jackie Earle Haley stehen ihnen jedoch in Nichts nach. Burtons Interesse ist wieder einmal beispiellos und erschöpft sich keineswegs auf Depps schillernden Vampir-Zeitreisenden. Mit Hilfe seiner Schauspieler verwandelt der Liebhaber dunkler Geschichten Neben- in Hauptfiguren, denen er mit Hingabe auf ihren obskuren Abenteuern folgt. In der dysfunktionalen, restlos durchgeknallten Familie der Collins, dieser eigenartigen Mischung aus den „Munsters“ und dem „Denver Clan“, fühlt man sich bereits nach der ersten Begegnung herzlich-(los) aufgenommen. Schließlich gibt es in jeder Familie mehr als nur einen Irren.
„Dark Shadows“ basiert auf der gleichnamigen Trash-TV-Serie, die Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre zunächst bei ABC zu sehen war. Die mit Grusel- und Gothic-Elementen ausgeschmückte Seifenoper brachte es auf über 1200 (!) Folgen und zwei Filme. Für Burton, dem mit „Ed Wood“ bereits die ultimative Verbeugung vor dem Genrekino jener Zeit gelang, war sie zugleich eine von vielen wichtigen Inspirationsquellen, aus dem er seinen bis heute unverwechselbaren Stil entwickelte. Dass er nun, rund Jahrzehnte später die Vorlage für das Kino aufgreift, ist eigentlich nur konsequent. Dabei outet sich „Dark Shadows“ schon nach wenigen Einstellungen als genuines Tim-Burton-Stück. Überall gibt es etwas zu entdecken und zu bestaunen, so dass Langeweile gar nicht erst aufkommen kann. Die zeitliche Verortung in den Siebzigern liefert darüber hinaus einen grandiosen Soundtrack mit Nostalgie-Garantie. Und so fühlt sich plötzlich nicht allein Barnabas Collins, als säße er in einer Zeitmaschine.
>> verfasst von Marcus Wessel