Moviebase Living and the Dead, The
Manche Filme machen es einem wirklich schwer. Wie hat man es jemals geschafft, Geld für THE LIVING AND THE DEAD aufzutreiben?
„Pass auf- das wird ein Hit! Da ist diese bettlägerige, todkranke Frau, zu schwach, sich um sich selbst zu kümmern. Ihr Mann ist dieser verarmte Aristokratentyp, aber er kümmert sich liebevoll um seine Alte, verstehste? Aber sie haben da noch diesen erwachsenen, völlig geistesgestörten Sohn, welcher immer irgendwelche Medikamente schlucken muss, damit er nicht durchdreht. Zusammen lebt dieses Trio Infernale in einem gewaltigen Anwesen, so richtig DER KLEINE LORD mäßig, nur das alles ziemlich vergammelt ist. Die guten Zeiten sind definitiv schon lange vorbei. Jedenfalls, Dad muss in die große Stadt um irgendwie Geld für die weitere Behandlung und wer weiß was noch, vielleicht mal Wandfarbe, zu besorgen. Eine Krankenschwester soll derweil nach dem rechten sehen. Und pass’ auf, jetzt geht’s ab: Der gestörte Sohn, welcher zudem noch den größten Minderwertigkeitskomplex der Welt hat, setzt sich in den Kopf, seine Mutter selbst zu pflegen! Das fängt an sich auch ganz liebevoll an, aber irgendwann taucht die Schwester auf und er verbarrikadiert das Haus. Die zieht unverrichteter Dinge wieder ab, aber dummerweise hat Mutter sich in der Zwischenzeit eingeschissen, und der Stress beginnt! Dann jagt der Typ sich noch fünf Spritzen in den Arm, richtig geil eklig, und driftet vollends ab! Da machen wir dann so richtig verrückte Zeitrafferjagden zu crazy Elektromucke durchs Haus- ist ja groß genug, lange Gänge, und so! Schließlich bringt er sie fast mit einer Überdosis Medikamente um, denn er denkt ja, je mehr sie nimmt, desto besser! Irgendwann taucht dann der Vater wieder auf, mit Krankenschwester, Polizei und Trara! Aber irgendwie ist dann doch alles anders, verstehste?“
„Wissen sie was, Mister Rumley? Finanzieren sie den doch einfach selbst! Das klappt schon.“
Gesagt, getan. Und so landete THE LIVING AND THE DEAD dann sogar auf dem FFF. Und heimste vorher sogar noch ein paar Preise ein. Der Film ist auch gar nicht schlecht. Man kann es selten behaupten, aber man wird wirklich Zeuge einer etwas anderen Fühl- Erfahrung. Eine Art Sozialhorrorvariante von THE SHINING (auch die berühmte Einstellung, in der Jack, von unten gefilmt, durch die Tür mit Wendy spricht, wird, vielleicht unabsichtlich, zitiert). Wir blicken quasi in das drogenumnebelte Hirn eines geistig völlig verwirrten Individuums. Das Interessante an der ganzen Sache ist, dass der arme James (unglaublich: Leo Bill) kein typischer Filmirrer ist, seine Untaten geschehen zumindest am Anfang aus dem Glauben heraus, gutes zu tun. Und es ist sehr schmerzlich mit an zu sehen, wie dieser eigentlich hilflos-liebe Mensch immer weiter degeneriert. Und man bedauert die arme, kranke Mutter für ihre Situation. Aber auch den Vater. Von daher ist TLATD wirklich keine angenehme Seh- Erfahrung, zumal die Spirale sich radikal nach unten windet.
Schon früh merkt man, dass dies kein gutes Ende nimmt. Es ist ein Film über Hilflosigkeit in jeder Form- alle Charaktere des Films, inklusive der Krankenschwester, sind auf eine gewisse Art gelähmt in ihrem Handeln. Die abstoßende, todgeweihte Atmosphäre des alten Anwesens besorgt dann den Rest. Man möchte duschen und diese erschreckende Welt hinter sich lassen. Es ist der Horror von miefigen Bettlaken und wund gelegenen Stellen. Von Siechtum. Jeder, der schon einmal Erfahrungen mit Pflegefällen gemacht hat, sollte es sich gut überlegen, sich diesen Film anzuschauen. Man beginnt, an das deutsche, brachliegende Gesundheitswesen zu denken, welches Menschen, die zuhause pflegen, sogar noch bestraft, indem man die Bezuschussung schön klein hält. Man denkt an seine eigene Zukunft. Aber bevor es völlig unerträglich wird, ist da zum Glück auch noch ein Hauch „normaler“ Horrorfilm in TLATD. Und die Zeitrafferaufnahmen eines marodierenden James zu pulsierenden Elektrobeats haben schon fast was von einem APHEX TWIN Musikvideo...
Will dieser Film anprangern? Ich bin mir nicht wirklich sicher. Ein unangenehmes, nachdenklich stimmendes Werk ist er auf jeden Fall. Ob man sich das nun antun möchte...
>> verfasst von Marc Ewert