Moviebase Wir sind die Nacht
Vielleicht ist es etwas bösartig und womöglich auch falsch zu behaupten, seit „Nosferatu, eine Symphonie des Grauens“ von 1922 habe es keinen bemerkenswerten Vampirfilm aus Deutschland mehr gegeben. Heimische Produktionen sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten jedenfalls eher selten mit besonders interessanten Beiträgen zum Genrefilm aufgefallen, sieht man vielleicht von den aber auch schon wieder recht speziellen Beiträgen von Jörg Buttgereit einmal ab.
Mit „Wir sind die Nacht“ kommt nun ein tatsächlich sehenswerter, wenn auch nicht bis ins Letzte überzeugender Beitrag zum Hochglanz-Vampirfilm ins Kino, der von Constantin produziert wurde und mit Nina Hoss und Karoline Herfurth in den Hauptrollen auch hochkarätig besetzt ist. Beim Festival in Sitges – auf dem auch so herausragende amerikanische Filme wie „Let Me In“ und „Stake Land“ gezeigt wurden – ließ der Film immerhin die Jury so sehr aufmerken, dass sie ihn mit ihrem Spezialpreis würdigten.
Lena (Karoline Herfurth) ist eine Berliner Kleinkriminelle aus dem Bilderbuch: Zwar lebt sie noch bei ihrer Mutter, aber die Straßen sind, vor allem abends und nachts, ihr Revier. Mit lockerer Hand zieht sie anderen Leuten die Geldbeutel aus der Tasche, und wenn ihr die Polizei nachstellt, flieht sie zur Not auch quer durch einen Supermarkt. So verfolgt sie auch der junge Polizist Tom (Max Riemelt), nachdem sie gerade einen russischen Zuhälter erleichtert hatte; nur knapp kann sie ihm entkommen.
Dass Tom sich in die junge Diebin verguckt und dieser Romanze auch seine Arbeit beeinflussen wird, ist eine der vorhersehbarsten Handlungsentwicklungen im Drehbuch von Jan Berger und Regisseur Dennis Gansel. Die andere ist, dass die junge Rebellin Lena sich womöglich nicht so gut in eine Gruppe einfügen wird, wie andere das erhoffen. Louise (Nina Hoss) erwartet das sogar - schließlich schenkt sie Lena, nur eine Nacht nach deren Flucht vor Tom, die Unsterblichkeit.
Louise ist die gewissermaßen dienstälteste Vampirin einer Gruppe, zu der auch noch Charlotte (Jennifer Ulrich) und Nora (Anna Fischer) gehören, deren Namen trefflich wiedergeben, wie lange sie schon zu den Blutsaugern gehören: Charlotte war in den 1920er Jahren ein gefeierter Stummfilmstar, und Nora wurde von Louise anscheinend auf der Love Parade aufgesammelt. Beiden ist gemein, dass Louise in ihnen ihre verlorene Liebe wieder zu finden hoffte, die vor Jahrhunderten im Sonnenaufgang verbrannte.
„Zu gierig, zu dumm“ seien die Vampirmänner gewesen, erklärt Louise ihrer Novizin einmal, deshalb habe man sich ihrer weltweit entledigt - und auch unter den Menschen machen die Vampirinnen gerne Jagd auf Männer: „Je böser der Mann, desto süßer das Blut.“ Natürlich schreit so eine Szenerie danach, als politisches Statement gelesen zu werden, aber Gansel inszeniert diese männerfreie, gar männerhassende Parallelgesellschaft primär als Zufallskonstellation mit ästhetischem Mehrwert - schöne Frauen in schönen Kleidern - ohne die Implikationen solcher Darstellungen auch nur peripher in den Blick zu nehmen.
So stehen auf der einen Seite die mit derart phallisch-gefährlichen Szenen ausgestatteten Frauen als Affront für eine gewalttätige, patriarchale Gesellschaft da - deren Schattenseiten der Film über böse (zu allem Überfluss auch noch stets osteuropäische) Zuhälter und martialische Spezialeinheiten der Polizei zusammenbringt. Dem steht aber die homosexuell konnotierte, männerhassende Weiblichkeit als Zerrbild feministischer Positionen gegenüber. Gansels Film diskreditiert beide Seiten, ohne ihnen auf irgend eine Art und Weise komplexe Eigenheiten und innere Widersprüche geben zu können - und liefert doch allen Ernstes als Ausweg aus der Konfrontation eine einzelne, romantisierte heterosexuelle Beziehung an, die in jedweder Hinsicht eine Mischform ist: Polizist und Diebin, Vampirin und Mensch.
Wenn man den Film auf seine fragwürdige politische Haltung nicht festnageln will und das alles als harmloses, vielleicht nicht ganz zu Ende gedachtes Entertainment hinnehmen will, bekommt man natürlich einiges geboten. Gerade die zweite Hälfte, offenbar an den modernen Mischformen zwischen Horror- und Actionfilm geschult, macht mit zunehmender Geschwindigkeit und reichlich Waffengeklirr einiges von jener Langeweile wett, die die erste Hälfte mit sich bringt. Diese ist leider geprägt von hölzernen Charaktereinführungen und knirschenden Dialogen; und bevor Herfurths Lena bei einem Vollbad ihrer Tätowierung und ihrer Strubbelhaare (zugunsten einer wohlfrisierten, perfekt gepflegten Mähne) verlustig geht, sieht man sie mit viel zu dunkel geschminkten Augenringen durch die Berliner Nacht schlurfen.
Die verführerischsten Elemente an „Wir sind die Nacht“ sind dann auch in der Tat die Bilder von Berlin bei Nacht, und dem Film gelingt es bestens, die Versuchung des Vampirismus - das hier ein Dasein vor allem im Nachtleben bedeutet - in ganz moderne, aktuelle Bilder zu übersetzen.
>> verfasst von Rochus Wolff