Moviebase Martyrs
Frankreich etablierte sich in den letzten Jahren durch diverse Filme im Horrorbereich. Sei es „Inside“, Ajas „High Tension“, oder „Frontier(s)“ - in den französischen Filmen geht es selten zimperlich zu. Dieser Weg gilt auch für MARTYRS, der schockierend und deprimierend seinen Weg in den Kopf des Zusehers bahnen wird. Den Veranstaltern des diesjährigen Fantasy Filmfestes zufolge seien in Berlin drei Männer während der Vorstellung kollabiert, während Frankreichs Kultusministerin für eine Altersfreigabe ab 16 Jahren anstatt der festgelegten „ab 18 Jahren“ plädierte. Ob der Film von Pascal Laugier tatsächlich Kulturgut darstellt, ist Ansichtssache. In jedem Fall aber wird man während der anderthalb Stunden jede Menge Schmerzen spüren - seelisch als auch körperlich - und so schnell nicht aus dem Sessel aufstehen.
Frankreich, Anfang der 70er-Jahre, ein verlassenes Industriegelände. Keine Menschenseele ist zu sehen, als sich die zehnjährige Julie schreiend und blutend durch die staubigen Straßen schleppt, dem Wahnsinn nahe, auf der Flucht vor unbekannten Peinigern. Als sie endlich aufgefunden wird, weist ihr geschundener Körper die Merkmale monatelanger Entbehrungen auf, aber keinerlei Anzeichen sexueller Gewalt. Das Mädchen wird in ein Krankenhaus eingewiesen. Täter und Motiv bleiben im Dunkeln. 15 Jahre später klingelt es an der Tür einer vierköpfigen Familie. Als der Herr des Hauses öffnet, sieht er sich Julie gegenüber - und dem Tod bringenden Lauf eines Jagdgewehrs…
MARTYRS lässt sich grob in zwei Hälften unterscheiden. Zunächst sehen wir ein in Panik flüchtendes und völlig misshandeltes Mädchen. Niemand weiß, was geschehen ist, das Mädchen selbst kann sich an seine Peiniger nicht erinnern. In einer Anstalt verbessert sich dieser Zustand jedoch nicht. Zwar freundet sich Lucie mit Anna ein, wird jedoch immer wieder von Selbstverstümmelungs-Attacken heimgesucht. Was macht dem kleinen Mädchen nur solche Angst? Die Härte, die Laugier hier serviert, macht sich durch Kompromisslosigkeit und Gewalt bemerkbar. Nachdem 15 Jahre ins Land gegangen sind, wird eine scheinbar harmlose Familie von Lucie aufgesucht und gnadenlos mit dem Gewehr aus dem Weg geräumt. Dies geschieht in einer solch brutalen, aber zugleich deprimierenden und traurigen Art, dass einem Hören und Sehen vergeht. Wie sehr muss das Mädchen gelitten haben, um zu einer derart radikalen Methode zu greifen, um endlich reinen Gewissens zu sein?
So viel Blut auch fließen mag, es wirkt niemals inszeniert. Das Szenario als „stimmig“ zu bezeichnen, wäre die falsche Wortwahl. Die Vorkommnisse spiegeln die verzweifelte Suche nach dem inneren Frieden einer jungen Frau wider, die ihres Lebens nie mehr glücklich werden wird und sich dafür rächen will. Tatkräftige Unterstützung erhält sie dabei von ihrer Freundin Anna, die an Lucie glaubt und beim Rachefeldzug behilflich ist. Und wer die erste Hälfte des Films überstanden hat, wird im zweiten Akt noch viel härter rangenommen. Diesmal ist es nicht Lucie, deren psychische Instabilität zum Wahnsinn treibt, sondern Anna, die das ganze Leid, welches einst ihre Freundin durchlebt hat, nun am eigenen Leibe erfährt. Die Geschichte Lucies wird an Anna erzählt - in einer Form, in der nicht nur das Opfer, sondern auch der Zuschauer zunehmend die Fassung verliert und an den gebotenen Bildern fast bewusstlos werden kann.
Reißerisch wird hier rein gar nichts erzählt. Ohne untermalende und abschwächende Musik, mit einer Abblende nach und einer Aufblende vor jedem neuen Folterakt, bekommt man die scheinbar unglaublichen Aktionen der Täter am eigenen Körper zu spüren. Man kann sich dermaßen in das Mädchen hineinversetzen, welches dort im Keller an starken Ketten gefesselt auf einem mickrigen Stuhl, der lediglich ein Loch mit einer darunter stehenden Schüssel für die Notdurft bietet, ihre Zeit verbüßt und tapfer durchhält. Und wenn man meint, alle Grausamkeiten scheinen aufgebraucht, so belehrt uns Laugier eines Besseren und setzt das krude Spiel der Peiniger immer weiter fort. Bis hin zur Häutung bei völligen Bewusstsein reicht die Palette an Foltermethoden, die sich wahrlich nur für Hartgesottene erträglich zeigt. Und wiederum sind es nicht unbedingt die ungeheuren Qualen, die das Mädchen und wir hier durchleben, die uns schockieren und fast schon frustriert zurücklassen, sondern die Tatsache, zu welchen Mitteln ein Mensch in der Lage sein kann, wenn sie auf ein bestimmtes Ziel hinaus wollen. Diese Aussage trifft letztendlich wie ein Hammer ins Gesicht.
Das Bild, welches sich in den finalen Minuten dem Zuseher bietet, kann das Vorangegange fast schon als harmlos bezeichnen. Die Schlusspointe wird selbst diejenigen, die wie Lucie und Anna bis zum bitteren Ende schmerzhaft durchgehalten haben, den Mund offen stehen lassen. Die Erkenntnis über den Ausgang des Films lässt die Haare zu Berge stehen; und hoffentlich nachdenklich an den Sessel fesseln. Denn so einfach lässt MARTYRS die Nerven auch nach dem Abspann nicht los. Zu sehr haben sich Laugier Bilder in den Kopf gebrannt. Wer hier nach einer Splatterorgie ohne Sinn (siehe „Frontier(s)“) verlangt, wird eines Besseren belehrt. Sicher wird MARTYRS die Geister scheiden, aber ebenso sicher wird er nicht einfach so aus den Gedanken zu verbannen sein. Ein hartes Stück Frankreich.
>> verfasst von Janosch Leuffen