Moviebase Paranormal Activity
Wären die amerikanischen Kinocharts der DFB-Pokal, so hätte man dort Ende Oktober eines dieser legendären Spiele beobachten können, in denen ein Drittligist den Meisterschaftsanwärter vernichtend schlägt. Underdog gegen Mainstream, David gegen Goliath. Das ist in diesem Fall der sechste Teil des Horror-Schlachtschiffs ″Saw″, der von einem kleinen Segelbötchen namens "Paranormal Activity″ eiskalt versenkt wurde: Obwohl die Ableger des ″Saw″-Franchise die Spitze der Kinocharts am Halloween-Wochenende normalerweise fest gepachtet haben, landete ″Saw VI″ nur auf einem empörenden zweiten Platz, an der Spitze logiert Oren Pelis fieser Independent-Schocker. Dabei könnten die beiden Kontrahenten kaum gegensätzlicher sein: Während bei ″Saw″ das Blut in Strömen fließt und der Zuschauer mit immer verwegeneren Plot-Twists konfrontiert wird, bleibt ″Paranormal Activity″ komplett unblutig und erzählt eigentlich eine der simpelsten Geschichten der Welt. Trotzdem sorgt er für mehr kalte Schauer, Schweißausbrüche und schlaflose Nächte als alle von Jigsaws Foltermaschinen zusammen.
Um die 15.000 Dollar hat der Film gekostet, das unterschreitet selbst den Etat eines regulären Musikvideos. Gedreht wurde zu großen Teilen in der Wohnung des Regisseurs; die wenigen, aber dafür geschickt platzierten Effekte sind allesamt handgemacht. Mit einem Einspielergebnis von über 85 Millionen Dollar in den USA gilt ″Paranormal Activity″ bereits jetzt als einer der finanziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten.
Immer wieder hört Katie unheimliche Geräusche und entdeckt, dass sich über Nacht Gegenstände in der Wohnung scheinbar von selbst bewegt haben. Ihr Freund Micah, eher der pragmatische Typ, besorgt flugs eine Kamera, um von nun an jede einzelne Nacht auf Band aufzuzeichnen und den merkwürdigen Vorkommnissen auf den Grund zu gehen. Der Zuschauer bekommt nun getreu dem ″Blair Witch-Prinzip″ ausschließlich dieses aufgezeichnete Material zu Gesicht.
Was zunächst als ungutes Gefühl in der Magengegend beginnt, artet schon bald in schierem Terror aus. Selten ist es einem Horrorfilm in den letzten Jahren gelungen, ein solch greifbares Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung heraufzubeschwören. Da der dokumentarische Stil des Films konsequent durchgezogen wird, braucht man hier nicht mit den typischen Hollywood-Mechanismen des Gruselns zu rechnen: Nicht durch schaurige Musik oder blutige Splatter-Szenen gelingt es Peli, diese unglaublich dichte Stimmung zu erzeugen. ″Paranormal Activity″ wirkt einfach in jeder Minute real, geradezu unaufgeregt alltäglich. Genau daraus bezieht das Werk seine Spannung. Im Gegensatz zu Vertretern über maskierte Killer oder osteuropäische Folterfabriken hat zu der Idee, die ″Paranormal Activity″ zu Grunde liegt, jeder einen Bezug: Unerklärliche, nächtliche Geräusche - eine kindliche Angst, die uns nie endgültig loslässt. Und umso mehr ängstigt uns die Vorstellung, dass all die dämonischen Ursachen, die unser schläfriges Gehirn in diese Geräusche hinein interpretiert, tatsächlich zutreffen könnten.
Seine besten Momente erreicht der Film in eben diesen Nacht-Szenen: Die Kamera steht auf einem Stativ auf das Bett gerichtet, im Bild zu sehen sind lediglich das schlafende Pärchen und die geöffnete Flurtür auf der linken Seite. Man ist den Geschehnissen also auch im Kinosessel blindlings ausgeliefert, kein Kameraschwenk, keine Abblende wird vor dem Frontalzusammenstoß mit den ″paranormalen Ereignissen″ schützen. Wie die Protagonistin befindet man sich in permanenter Alarmbereitschaft, mag sich kaum ausmalen, welche Schrecknisse die nächste Nacht bereithält. Spätestens in der letzten halben Stunde steht man unter permanenter Spannung, fühlt sich in die Ausweglosigkeit der Situation hineinversetzt.
Das bedeutet nicht, dass ″Paranormal Activity″ nicht auch handfeste Schockmomente zu bieten hätte. Die düsteren Andeutungen, die die erste Hälfte des Films beherrschen, verstärken das nach und nach einbrechende Grauen noch erheblich. Vor allem das Ende sorgt mit seiner abrupten Eskalation für ein kollektives Zusammenzucken im Kinosaal und liefert zugleich noch reichlich Diskussionsstoff. Für manch einen mag diese letzte Szene einen Bruch in der bis dahin stringenten Dramaturgie darstellen; man kann sie aber ebenso gut als logischen Klimax einer sich beständig steigernden Spannungskurve betrachten. Das hebt ″Paranormal Activity″ auch vom artverwandten ″Blair Witch Project″ ab: Wo bei Myrick und Sanchez die Story komplett unaufgelöst bleibt und unseren Interpretationen ausgesetzt ist, haut uns Peli die grausame Wahrheit im wahrsten Sinne des Wortes direkt ins Gesicht und muss seine Grundstory dabei trotzdem nicht entmystifizieren.
An dieser Stelle zu viele Worte über den filmischen Inhalt zu verlieren, hieße jedoch unweigerlich, dem Leser das Filmvergnügen zu verderben. Micahs und Katies Martyrium muss man am eigenen Leib erfahren. Und das ist ganz wörtlich gemeint: Die klaren, nüchternen und doch albtraumhaften Bilder verlieren auch nach Ende des Films lange nicht an Wirkung. Ein Schelm, der nicht zugibt, nach Löschen der Nachtischlampe zumindest kurz mit einem leisen Erschaudern an die auf das Bett gerichtete Kamera und ihre schrecklichen Aufzeichnungen zurückgedacht zu haben.
>> verfasst von Tim Lindemann