Moviebase Sinister
Es ist nicht einfach, sich im Genredickicht der Found-Footage-Filme, Torture Porns und Zombieapokalypsen von der Konkurrenz abzuheben. Und zunächst klang die Idee von Scott Derrickson („Der Exorzismus von Emily Rose“)und seinem Kumpel C. Robert Cargill auch nicht wirklich neu. Cargill, eigentlich Filmkritiker beim Internetportal Ain’t It Cool News, entwickelte das Konzept zu „Sinister“ mit Derrickson aus einer Bierlaune heraus. Getarnt als weiteren Found-Footage-Horror verkauften sie ihren Einfall, der aber tatsächlich eher den klassischen Gruselwerken als den neumodischen Dämonenschockern ähnelt.
Der letzte große Erfolg von Krimiautor Ellison Oswalt (Ethan Hawke) liegt schon Jahre zurück. Als sie aus finanziellen Gründen umziehen müssen, erwähnt Ellison seiner Frau und den Kindern gegenüber nichts von der dunklen Geschichte des neuen Hauses: Vor Jahren kam dort eine Familie auf brutale Weise um und die jüngste Tochter verschwand spurlos. Der Autor lässt sich davon nicht beirren und hofft stattdessen, dort seinen neuen Kriminalroman beenden zu können. Auf der nächtlichen Suche nach Inspiration findet er auf dem Dachboden eine Kiste mit alten Filmrollen, die neben Familienaufnahmen des Vorbesitzers auch äußerst verstörende Sequenzen anderer Familien enthalten. Während Ellison versucht, das Geheimnis um die Aufnahmen zu lüften, scheint eine dunkle Macht von seinen Kindern Besitz zu ergreifen. Wird er schnell genug sein, um sie zu retten?
Vier Menschen stehen mit Säcken über dem Kopf und einem Strick um den Hals an einem Baum. Dann werden sie in die Höhe gezogen. Sie zappeln, versuchen der aussichtslosen Situation zu entkommen, bis sie schließlich tot sind. „Sinister“ beginnt schmerzhaft und düster mit dieser langen Einstellung. Das Rattern eines alten Filmprojektors und dumpfe Klänge sind die einzige akustische Untermalung. Ein verheißungsvoller Beginn, dem der restliche Verlauf weitestgehend gerecht wird.
Ethan Hawke („The Purge – Die Säuberung“) schlägt sich in der Geschichte als Buchautor Ellison mit einer erfolgslosen Zeit herum. Seine Familie ist genervt von seiner Arbeit und er selbst flüchtet sich in eine gefährliche Welt, die ihn immer mehr zusetzt. Hawke agiert gut, gibt den Familienvater weder übermäßig sympathisch noch total unfreundlich. Jedoch sind seine Gedanken nur bei seinem neuen Buch, das ihm mehr abverlangt als jemals zuvor. Geschickt lässt Derrickson dann doch noch das wichtigste Found-Footage-Element mit einfließen: Die alten Videobänder, die Ellison auf dem Dachboden findet. Und das alte Material ist zugleich die größte Stärke des Films. Zusammen mit Ellison entdeckt der Zuschauer bizarre Mordfälle. Das sorgt für Gänsehaut und Unbehagen und gibt „Sinister“ eine besondere, weil unheimliche und dichte Atmosphäre.
Obwohl Genreerfahrene wissen sollten, zu welchem Zeitpunkt hier ein Schockmoment die Nerven strapazieren will, erfüllen diese trotzdem ihren Zweck. Gern lässt man sich von der Stimmung einlullen und von im Haus umherlaufenden Kindern erschrecken. Denn genau wie Ellison wissen auch wir bald nicht mehr, was Realität und was Fantasie ist. Der Sog seiner intensiven Recherchen und Ängste wird stets größer und stärker. Nicht alles wurde dabei konsequent weitergeführt. Wie etwa die Nachtangst von Ellisons Sohn Trevor, die wesentlich mehr Potenzial gehabt hätte, als sie im Film offenbart. Oder das Auftreten des Boogeymans, der scheinbar immer dann auftaucht, wenn er gerade benötigt wird.
Trotz weniger Schwächen ist „Sinister“ ansprechendes und über weite Strecken spannendes Horrorkino mit vielen Oldschool-Elementen und effektiven Schocks. Bei genauerer Betrachtung birgt die Erzählung zwar wenige Überraschungen, punktet aber mit einer stimmungsvollen Inszenierung und guten Darstellern. Auch das Finale überzeugt mit einem unerwarteten und erfreulich kompromisslosen Paukenschlag. Die Fortsetzung steckt bereits in den Vorbereitungen und es bleibt nur zu hoffen, dass Scott Derrickson genügend zündende Ideen für das Drehbuch kommen – vielleicht ja wieder bei einem geselligen Bierabend mit Kumpel Cargill.
>> verfasst von Janosch Leuffen