Moviebase Tödlicher Anruf
Im Remake des von Takashi Miike inszenierten, japanischen Horrorfilmes „Chakushin Ari“ aus dem Jahre 2003 erhalten Menschen Voice Mails von ihrem zukünftigen Ich – mit verängstigter Stimme klärt es den Empfänger über seinen bevorstehenden Tod auf. Datum und Zeit des Ablebens stehen fest, den Rest müssen sich die Opfer aus den rätselhaften Anrufen selbst zusammenreimen.
Keine überragend neue Idee, möchte man meinen, aber auf jeden Fall mit genug Potential, um einen spannenden Mystery-Horror daraus zu zaubern. Ich kenne den Zeitpunkt meines Todes sowie einige Details – wie werde ich damit umgehen ? Was kann ich überhaupt tun, um ihn zu vermeiden ? Ist es nicht möglich, daß alles, was ich unternehme, um dem Sensenmann ein Schnippchen zu schlagen, geradewegs diejenige Ereigniskette beschleunigt oder sogar erst auslöst, die mir am Stichtag gehörig die Laune verderben wird ?
Woher kennen wir dieses Motiv ? Richtig. Nicht nur aus „Final Destination“. Es handelt sich auch um eine Variation des allseits bekannten, in zahlreichen Filmen verarbeiteten Kassandra-Komplexes. Kurz zum geschichtlichen Ursprung: Der griechische Gott Apollo hatte sich in Kassandra verguckt, die Tochter des trojanischen Königs Priamus. Um ihr Herz zu gewinnen, schenkte er ihr die Gabe der Vorhersehung, bekam von der Angebeteten jedoch einen Korb und reagierte, wie Männer, ganz gleich ob menschlicher oder metaphysischer Provenienz, darauf meistens reagieren: er verfluchte sie. Da er einmal verliehene Fähigkeiten nicht mehr zurücknehmen konnte, entschied der verletzte Himmelskörper, daß niemand ihre Vorhersagen jemals für voll nehmen solle. So warnte Kassandra ihre Mitbürger unter anderem vor dem Trojanischen Pferd, wurde jedoch als Spinnerin belächelt; den restlichen Verlauf der Geschichte Trojas kennt man entweder aus Büchern oder Wolfgang Petersens in´s Monumentalformat geklopftem, gleichnamigem CGI-, Star- und Lendenschurzschinken.
Zwei der berühmtesten und smartesten filmischen Werke, die das Kassandra-Syndrom verarbeitet haben, dürften wohl David Cronenbergs King-Verfilmung „The Dead Zone“ und Terry Gilliams „12 Monkeys“ sein. Fans des Star Trek-Universums kennen den Topos zudem aus zahlreichen 45-minütigen Folgen der Serien „The Next Generation“ oder „Voyager“.
Hier liegt leider auch schon das größte Problem des von Eric Valette in Szene gesetzten Remakes. Denn so manche dreiviertelstündige TV-Episode eben genannter Serien, die ein ähnliches Thema präsentierte, war weitaus interessanter, spannender und cleverer gestrickt als sein 87 Minuten langer Gähnkrampf. Sind die ersten 15 Minuten noch halbwegs interessant, machen durchaus Lust, der Story zu folgen und erzeugen wenigstens ansatzweise Spannung, werden sämtliche Gelegenheiten, den Bogen weiter zu spannen und den Zuschauer zu packen, dermassen vergeigt, daß man sich fragen muß, ob das Team beim Drehen unter Anästhesie stand. Eine Standardsituation aus der Rezeptsammlung schon tausendmal gegessener Horrorschnellkochgerichte folgt der anderen, es gibt keinerlei Überraschungen; das Finale wirkt verquält, wird künstlich in die Länge gezogen, ist auf peinliche Art unfreiwillig komisch und vollkommen ideenfrei.
Des Öfteren entsteht der Eindruck, als diene die Geschichte eigentlich nur der Verknüpfung einiger skurriler Todesarten, die sich in ihrer phantasielosen, drögen Inszenierung allerdings weder vom Rest des Filmes abheben, noch zu „schockieren“ oder fesseln verstehen. Wer Filme wie den ersten Teil der „Final Destination“-Reihe kennt, weiß, wie phantasievoll und originell man den Tod darstellen kann. Auch wenn der Vergleich sicher nicht ganz zulässig ist, denn „Final Destination“ war eigentlich eine Horror-Komödie – die Todesarten wurden nicht umsonst mit einem spitzbübischen Schmunzeln inszeniert – ONE MISSED CALL hingegen möchte ganz schrecklich ernstgenommen werden.
Nun könnte man sich damit trösten, daß Valette immerhin einige halbwegs stimmige, düstere Bilder abliefert, aber diese Form der „Seven“ und „Saw“-Kielwasserästhetik ist mittlerweile ohnehin omnipräsent, kann also leider auch nicht als Pluspunkt verbucht werden. Schließlich gibt es solche Bilder heuer in jedem fünfminütigen, ambitionierten Rockvideo.
Auch schauspielerisch bleibt ONE MISSED CALL farblos. Hauptdarstellerin Shannyn Sossamon dürfte für viele männliche Zuschauer sicher ein sehr ästhetischer, angenehmer Anblick sein, bleibt in ihrer Rolle als Beth Raymond jedoch blaß und wirkt oftmals seltsam unbeteiligt. Edward Burns als Jack Andrews, der die mysteriösen Todesfälle aufzuklären trachtet und der einzige ist, der Beth Glauben zu schenken scheint, mutet an wie eine aus irgendeinem 0815-Copmovie hinüberkopierte Nebenrolle. Auch hier verpaßt Valette die Chance, die Beziehung zwischen den beiden Figuren für den Zuschauer überzeugend und emotional nachfühlbar zu gestalten. Auch die Nebenrollen setzen leider keinerlei Akzente, bleiben leblos, bloße Stichwortgeber für den nächsten albernen Dialog.
Schade, daß eine wenn auch nicht taufrische, aber dennoch recht spannende Idee hier so tief in den Sand dirigiert wurde. ONE MISSED CALL hätte zumindest nicht schlechter werden müssen als die Vorlage von Miike, stattdessen hat man es fertiggebracht, ein ohnehin schon eher durchschnittliches Original nicht nur zu unterbieten, sondern fast vollständig zu entwerten und in die Belanglosigkeit hinabzudrücken. Der Film nimmt sich furchtbar ernst und will ein großer Schocker sein; das Resultat wirkt jedoch, als hätte man die Zunge an eine halbleere 1,5 Volt-Batterie gehalten. Ein schwaches, kaum spürbares Bizzeln, ein ganz fader, säuerlicher Nachgeschmack.
>> verfasst von Axel Krauss