Moviebase REC 2
Nach dem besten Virus-Abenteuer der letzten fünf Jahre gefragt, hätte wahrscheinlich nicht nur der Autor dieser Zeilen bis vor kurzem wie aus der Pistole geschossen "[Rec]!" geantwortet. Der spanische Handycam-Schocker wusste mit nervenzerfetzender Spannung und effektvoll inszenierten Zombie-Attacken Zuschauer in ganz Europa zu überzeugen. Mit dem Erscheinen des Sequels "[Rec] 2" kann man den Film aber nun nicht mehr im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Frage nennen. Warum? Weil sich in der Fortsetzung schon bald herausstellt, dass "[Rec]" eigentlich nie ein Zombie-Film war...
"[Rec] 2" setzt etwa fünfzehn Minuten nach Ende des ersten Teils an. Ein SWAT-Team soll das Hochhaus durchsuchen, in dem sich die schrecklichen Ereignisse aus "[Rec]" abspielten. Dabei gelangen die Polizisten bald zu der Einsicht, dass die Ursache für die plötzlichen Gewaltausbrüche keineswegs ein Virus, sondern etwas viel Schlimmeres ist... Außerdem ist eine Gruppe Jugendlicher auf der Suche nach dem ultimativen Adrenalin-Kick in das komplett abgeriegelte Haus eingebrochen...
Rein formell folgt die zweite Regiearbeit der Spanier Paco Plaza und Jaume Balaguéro dem Erfolgsmodell ihres Erstlings: Auch in "[Rec] 2" wird das blutige Geschehen wieder in subjektiver Perspektive vor dem Zuschauer ausgebreitet und auch diesmal weiß diese Technik das gewünschte Resultat zu erzielen – ein "Wegschauen" der Kamera ist unmöglich und die Filmerfahrung gerät unmittelbarer und direkter. Fans des ersten Teils werden unter Umständen trotzdem eine Verwässerung des originalen Prinzips bemängeln: Anstatt einer einzigen Kamera werden nun mehrere Blickwinkel eingesetzt – unter anderem über die Kameras der Polizisten und die Handycam der drei Jugendlichen. Dem klaustrophobischen Effekt tut dies jedoch keinen Abbruch, es stellt vielmehr eine gelungene Weiterentwicklung des ursprünglichen Konzepts dar.
Die größten Debatten wird es aber mit Sicherheit um die inhaltliche Weiterentwicklung des Films geben. Hier verabschiedet man sich weitestgehend vom rein traditionellen Zombie-Stoff nach Romero und verquickt diesen stattdessen mit "dämonischen" Schockern à la "Der Exorzist". Man mag diesem Update kritisch gegenüberstehen, muss aber letztlich zugeben, dass sich Plaza und Balaguéro hier äußerst erfolgreich gegen thematischen Stillstand wehren und weigern, einen bloßen Neuaufguss des erfolgreichen Erstlings zu liefern. Dass die Storyentwicklung des Sequels dabei auch den ersten Teil verändert beziehungsweise in einen anderen Kontext stellt, mag dem ein oder anderen sauer aufstoßen, ist aber ein cleverer Drehbuch-Clou, der auch für die weiteren angekündigten Ableger der Serie auf Großes hoffen lässt.
Bis zum mehr als bitteren Ende gelingt es den beiden Regisseuren erneut, die Spannung auf höchstem Niveau zu halten. Dank der erwähnten neuartigen Storyelemente gerät "[Rec] 2" vor allem noch unberechenbarer als sein Vorgänger; hier kann wirklich alles passieren, jederzeit. Wie schon im ersten Teil sind die Schockeffekte dabei brillant platziert, auch wenn man sich dank der Ego-Perspektive nicht selten wie in einer großen, gruseligen Geisterbahn fühlt. Ein wenig leidet der Film trotz aller inszenatorischen Meisterschaft an der einsetzenden Abnutzung des Reality-Horror-Stils. Obwohl die subjektive Perspektive weiterhin ein Garant für Schockmomente ist, beginnt man als Zuschauer die entsprechenden Mechanismen zu durchschauen: Mal fällt die Kamera abrupt auf den Boden, nur damit anschließend ein erbarmungswürdiges Opfer mit blutüberströmten Gesicht davor sein Leben aushauchen kann. Dann wieder wird die Kamera mit Nachtsichtmodus in einen dunklen Raum gehalten und man kann sich sicher sein: Gleich springt einem irgendetwas Unangenehmes entgegen. Diese Kniffe wirken auf die Dauer ein wenig zu konstruiert, trüben das Filmvergnügen aber nur unerheblich.
"[Rec] 2" ist nicht nur ein würdiger Nachfolger für einen der besten Horrorfilme der letzten Jahre, er ist auch allgemein eine sehr clevere Fortsetzung. Im Gegensatz zu vergleichbaren Sequels gelingt es Plaza und Balaguéro mit ihrem neuen Film, die Atmosphäre und den Stil des Erstlings zu übernehmen, sich dafür aber mit inhaltlichen und stilistischen Methoden dagegen zu wehren, einen bloßen Abklatsch zu produzieren. Demnächst sollen ein Prequel und eine weitere Fortsetzung entstehen. Wenn es den Spaniern gelingt, ein solch hohes Niveau zu halten, bleibt nur zu sagen: Immer her damit!
>> verfasst von Tim Lindemann