Moviebase The Purge
Willkommen in der schönen neuen Welt von „The Purge“! Auf den ersten Blick scheinen die USA im Jahr 2022 wie ein fast vollkommenes Paradies. Die Zahl der Arbeitslosen geht gegen null, die Strassen wirken aufgeräumt und sauber, die Wirtschaft boomt. Gleichzeitig ist die Zahl der Straftaten drastisch gesunken. Doch diese Idylle hat ihren Preis und eine geradezu perverse Schattenseite. Nach dem Willen der neuen Gründerväter, die in James DeMonacos Sozial-Schocker bis zuletzt unsichtbar bleiben, ist es allen Bürgern einmal im Jahr erlaubt, für eine Nacht ihrer angestauten Wut und Aggression freien Lauf zu lassen. Sogar kaltblütiger Mord ist für den Zeitraum von zwölf Stunden plötzlich legal. Wer es sich leisten kann, schützt sich und sein Zuhause während der „Purge“ (übersetzt: Säuberung) mit moderner Sicherheitstechnik vor potenziellen Gewalttätern.
Zur privilegierten Oberschicht dürfen sich auch die Sandins zählen. Vater James (Ethan Hawke) hat ausgerechnet mit dem Verkauf von Alarmanlagen und Sicherheitssystemen ein kleines Vermögen gemacht. Seiner Familie kann er dadurch ein repräsentatives Heim in einer bewachten Community bieten. Doch in der Nacht der „Säuberung“ scheint die Gewalt sogar bis dorthin vorzudringen. Als Sohn Charlie (Max Burkholder) einen verletzten Unbekannten (Edwin Hodge) gegen den Rat des Vaters in das Haus lässt, droht die Lage endgültig zu eskalieren. So verlangt wenig später eine Gruppe maskierter Gewalttäter die Auslieferung des Fremden. Ansonsten wollen die Schwerbewaffneten die Villa der Sandins stürmen und jeden töten, der sich ihnen in den Weg stellt.
Bereits in den ersten zehn Minuten unternimmt Regisseur James DeMonaco alles Erdenkliche, um den sozialkritischen Unterton der von ihm erdachten Geschichte in den Vordergrund zu stellen. Dabei geht er allerdings wenig subtil vor. Nachrichtensendungen im TV und Radio verkünden unablässig den baldigen Start der „Säuberung“, dazu erklärt Vater Sandins seinen Sprösslingen noch einmal Schritt für Schritt den geplanten Ablauf der kommenden Nacht. Das ist Kino zum Mitschreiben. Nachdem die Spielregeln erst einmal ausgebreitet sind, schwenkt „The Purge“ rasch auf einen anderen Kurs ein. Da ist es schnell vorbei mit jedem sozialkritischen Anstrich, der ohnehin mehr wie ein unglaubwürdiges Alibi anmutet. Stattdessen verzettelt sich DeMonaco in einem zusammengeklauten Home-Invasion-Plot mit zum Teil unfreiwillig komischen Wendungen.
Da finden sich abstruse Dialoge ebenso wie garantiert sinnfreie Wendungen. Das Verhalten der Hausbewohner zu erklären, scheint zudem selbst gemessen an den üblichen Horrorfilm-Klischees fast aussichtslos. Im Timing der eher übersichtlichen Schockmomente – Kühlschranktür auf, Kühlschranktür zu, jetzt bitte erschrecken – fehlt es dem Film an ganz elementaren Dingen. Überraschend ist das alles nicht. Und wenn dann noch der Plot angesichts des immer banaleren Katz-und-Maus-Spiels kollabiert, scheint die eigentlich nicht unspannende Ausgangsidee längst vergessen. Man kann in diesem Zusammenhang durchaus den Eindruck gewinnen, dass selbst DeMonaco das Interesse an seinen Figuren verliert. Warum soll man dann als Zuschauer mit der nur bedingt sympathischen Upper-Class-Familie bangen, ob sie die Nacht überlebt?
Es ist schon enttäuschend, wenn eine Geschichte aus einer halbwegs originellen Prämisse so wenig macht. DeMonaco jongliert zwar mit Einflüssen aus Genrefilmen wie „The Strangers“ und Klassikern wie Michael Hanekes „Funny Games“ und Kubricks „Clockwork Orange“, doch statt die einzelne Bälle stets in der Luft zu halten, fallen sie ihm früher oder später auf die Füße – gerade weil man sich erinnert, wo man diese oder jene Idee schon einmal weitaus besser umgesetzt gesehen hat.
Noch schwerer wiegt aber, welche Schlüsse „The Purge“ aus seiner düsteren Zukunftsvision zieht. Natürlich verurteilt der Film die perverse Idee der Säuberung, alles andere wäre schließlich indiskutabel. Am Ende darf sich hier aber dennoch nur die Waffenlobby als Sieger fühlen. Ohne gleich ein ganzes Arsenal an Schusswaffen hätte die Familie gegen die Eindringlinge nicht den Hauch einer Chance. „Mehr Waffen bedeuten mehr Sicherheit“ scheint die absurde Logik dahinter. Und so wird „The Purge“ – beabsichtigt oder nicht – zum besten Verbündeten der NRA.
>> verfasst von Marcus Wessel