Moviebase Zodiac
Die Angst geht um. Der Großraum San Francisco wird Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre von einem Psychopathen terrorisiert, der in die Kriminalgeschichte der USA als einer der grausamsten und gefährlichsten Serienkiller eingehen sollte. Er selber nennt sich „Zodiac“. Das Besondere: Er wendet sich in Briefen an die Presse, verhöhnt darin die Polizei und kündigt weitere Morde an. Einer seiner ersten Schreiben an drei Zeitungsredaktionen fügt er ein mehrteiliges Chiffrerätsel bei, das, wenn einmal dekodiert, seine wahre Identität angeblich preisgeben soll. Das alles erinnert an Jack the Ripper, der die Öffentlichkeit ebenfalls mit Hinweisen auf sein wahres Ich in Atem hielt.
Wie Millionen anderer Amerikaner wuchs Filmemacher David Fincher mit der Furcht vor Zodiac auf. Zum Zeitpunkt der ersten Morde war Fincher gerade sieben. Er lebte in der Nähe von San Francisco, wo das Schreckgespenst des unsichtbaren Monsters besonders präsent war. Entwicklungspsychologen wissen längst, wie sehr Ereignisse und Eindrücke ein Kind in diesem Alter prägen können. Als ihm rund drei Jahrzehnte später die Möglichkeit eröffnet wurde, einen Film über die damaligen Ermittlungen und das Treiben des Zodiac zu drehen, musste er nicht lange überlegen. Die Faszination des – Achtung! Spoiler! – bis heute nicht wirklich aufgeklärten Falls war schlichtweg zu groß. Neben den offiziellen Polizeiakten dienten in erster Linie die beiden Bücher „Zodiac“ und „Zodiac Unmasked“ des Karikaturisten Robert Graysmith als Vorlage für den nun vorliegenden Hollywood-Film.
Graysmith kam seinerzeit eher zufällig in Kontakt mit dem grauenhaften Treiben des Serienkillers. Er arbeitete als politischer Zeichner in der Redaktion des San Francisco Chronicle, an die der Zodiac zahlreiche Briefe adressierte. Der enthusiastische Code-Experte Graysmith – im Film dargestellt von Brokeback Mountain-Star Jake Gyllenhaal – dechiffriert das Rätsel, was ihn auf die Spur des Mörders führt. Dabei geht er andere Wege, als es ihm sein erfahrene und abgeklärte Kollege Paul Avery (manieriert wie immer: Robert Downey Jr.) vormacht, der für den Chronicle über spektakuläre Kapitalverbrechen berichtet. Gleichzeitig versucht der ehrgeizige Inspector Dave Toschi (Mark Ruffalo), dem überheblichen Killer das Handwerk zu legen. Zusammen mit seinem zurückhaltenden, analytisch vorgehenden Partner Armstrong (Anthony Edwards) leitet er die Ermittlungen, welche jedoch desöfteren in Sackgassen enden.
In den USA ist Zodiac an der Kinokasse grandios gefloppt. Gerade einmal rund 30 Mio. Dollar spielte die prominent besetzte Serienkiller-Hatz ein. Und das, obwohl die Sensibilität für das Thema eigentlich vorhanden sein sollte. Wer Finchers Film allerdings sieht, dem erschließen recht schnell die Ursachen für diesen Misserfolg. Denn das mit einer Laufzeit von 158 Minuten nicht unbedingt im Vorbeigehen zu konsumierende Werk erfordert vom Zuschauer einiges an Geduld und Partizipation. Im Gegensatz zu Finchers früherem Psychpathen-Œuvre Sieben lebt Zodiac nicht vom Stilwillen seines Regisseurs oder einer aus Gewalt und Horror erwachsenen Thriller-Komponente. Finchers Neuer funktioniert ausnahmslos als sorgsam chronologisierte, zuweilen penibel genaue Schnitzeljagd, als Visualisierung einer fast schon pathologischen Besessenheit seiner Protagonisten.
Allen voran Graysmith läuft Gefahr, sich in den eigenen Nachforschungen und Gedankenkonstrukten zu verlieren. Der introvertierte Sonderling nimmt den scheinbar aussichtslosen Kampf gegen den Zodiac auf, was in den beiden in Ich-Form verfassten Tagebücher („Zodiac“, „Zodiac Unmasked“) von ihm akribisch dokumentiert wurde. Damit steht Zodiac in einer langen Tradition großer Kriminalverfilmungen, die sich allesamt mehr für den Jäger als den Gejagten interessieren. Die Frage, wer in Zodiac Jäger und wer Gejagter ist, lässt sich jedoch nicht so leicht beantworten. Spätestens, wenn Fincher nach einem Drittel die Morde in den Hintergrund rückt und sich ganz auf Graysmiths Nachforschungen konzentriert, nehmen diese mitunter zwanghafte Züge an. Es gibt für ihn nur noch einen Gedanken, ein Ziel, das fortan alles andere dominiert. Die Jagd nach dem Killer wird zum einzigen Lebensinhalt und wir als Zuschauer werden Zeuge, wie Graysmith sich selber opfert. Er ist der Gejagte, der nur noch reagieren und nicht mehr agieren kann.
Vom Schöpfer eines Sieben, Fight Club und Alien 3 darf man nicht weniger als den perfekt fotografierten Albtraum erwarten. Zodiac präsentiert sich folglich als ein langer, bedächtiger Fluss aus erstklassigen, stimmig montierten HD-Aufnahmen. Bereits die erste Szene hätte man eleganter kaum filmen können. Mit ihrer matten und saturierten Farbästhetik gelingt den Bildern eine überzeugende Revitalisierung des damaligen gesellschaftlichen Klimas. Kameramann Harris Savides verzichtet allerdings auf die für einen „Fincher“ typischen Spielereien, was der gesamten Inszenierung einen erfrischend beiläufigen Ton verleiht. Von einem nostalgischen 70er Jahre-Feeling fehlt glücklicherweise jede Spur. Man mag von Finchers insgesamt unspektakulärem Regie-Ansatz enttäuscht sein, gerecht wäre es ihm gegenüber in keinem Fall. Das hier ist kein zweiter Sieben, der lediglich das Sex-Symbol der 90er gegen eines des neuen Jahrtausends austauscht und den Schauplatz in das zumeist sonnige San Francisco verlegt.
- Nochmals leichte Spoiler! -
Finchers Prämisse ist eine gänzlich andere. Er begibt sich mit Zodiac auf die Suche nach der Antithese zum Action-orientierten modernen Thrillerkino. Die im Genre zuweilen anzutreffende plakative Darstellung von Gewalt endet bei ihm in der Schwarzblende, was nicht heißt, sein Film käme ohne beklemmende Impressionen aus. Die Szene am Seeufer oder der erste Auftritts des Killers rütteln an Urängsten, weil sie den Einbruch des Terrors in eine idyllische, heile Welt zeigen. Vor allem lehren sie die Irrationalität jener Taten, auf die von Seiten der Polizei ein bürokratisch durchorganisiertes, rationales Arbeitsschema entgegengesetzt wird. Während Toschi und sein Kollege sich darin verfangen, droht Graysmith – wie alle Helden des Film Noir – an der eigenen Obsession zu scheitern. Speziell die Ungewissheit, ein diffuses Gefühl, den Fall vermutlich niemals mehr aufklären zu können, quält alle Beteiligten – bis heute.
Die Dialoglastigkeit des Ganzen ist gewollt und hat wie die schnörkellose, lässige Handschrift Methode. Zuweilen glaubt man, Quentin Tarantino und nicht Fincher habe den Film mit der ihm eigenen Coolness aus den Ärmeln geschüttelt. Jedes winzige Detail kommt zur Sprache, ganz so, als wolle Fincher damit seiner Chronistenpflicht genüge tun. In Wirklichkeit bleibt dennoch vieles im Bereich des Spekulativen, besonders dann, wenn die Handlung die gesicherte Basis der Polizeiakten verlässt und sich ausschließlich auf Graysmiths Tagebucheinträge stützt. Die Arbeit der Ermittler baut Fincher zur tragenden Säule aus. Sogar die pervertierten Fantasien des Täters werden nicht von ihm selber vorgetragen, sondern gelangen erst über den Umweg der Briefe an die Zeitungsredaktionen und damit auch an den Zuschauer. Eine eigene Stimme, einen Raum zur Profilierung, wie ihn John Doe geschenkt bekam, erhält der Killer dieses Mal nicht. Das macht ihm zum Phantom und seine Taten umso erschreckender.
>> verfasst von Marcus Wessel